Hexenwerk

27.5.2014, 09:26 Uhr
Unterwegs mit Prinz Rauke: Theobald Fuchs.

© ts Unterwegs mit Prinz Rauke: Theobald Fuchs.

Prinz Rauke war von nördlicher Geburt und auf der Suche nach einer Braut. Doch sobald sich unter den Adligen des Südens herumsprach, dass Prinz Rauke sich einem Landstrich näherte, brach allenthalben Panik aus unter den Vätern unverheirateter Töchter. Die Vorstellung, Prinz Rauke führte eine fränkische Jungfrau vor den Traualtar, galt auch in allen aristokratischen Häusern zwischen Würzburg und Hof als der schlimmste denkbare Paarungsunfall.

Denn Prinz Rauke war nicht nur herzlos, sondern auch unfassbar wählerisch. Im Schwäbischen soll er einmal die Familie eines lokalen Fürsten, indem er mit einem brennenden Feuerzeug unter einer Banknote wedelte, solange gequält haben, bis die ganze Sippe mit bittersten Tränen zusammenbrach. Man habe ihm dann erlaubt, den Schleier der einzigen Tochter des Hausherren zu lüpfen, wenn er nur endlich aufhöre, den Geldschein der Gefahr der Vernichtung auszusetzen. Allein der Umstand, dass das linke Ohr der Prinzessin geringfügigst überdurchschnittlich abstand, verhinderte die Mesalliance.

Dabei legte er selbst keinerlei Wert auf sein Aussehen – vielmehr war typisch für ihn, dass er sich als einziger Mann im weiten Erdenrund nicht eine, sondern zwei kahle Stellen am Hinterkopf angeschafft hatte. Eine zweifache „Blasche“, wie es hier und da auch genannt wird – bloß, damit er auch davon doppelt so viel hatte wie alle anderen.

Eines Tages stieg er in sein dickes Auto und fuhr das Pegnitztal flussaufwärts, bis er, um frische Kraft für die bevorstehende Balz zu tanken, in einem herzallerhübschesten Dörfchen bei einem Metzgereigasthof haltmachte. Er orderte quasi im Vorübergehen ein Schäufele und setzte sich in den Biergarten hinter dem Wirtshaus. Just ließ er die Fingergelenke krachen, da stand schon eine Person neben ihm, stellte einen mit dampfendem Fleisch beladenen Teller ab und setzte sich auf den freien Platz gegenüber.

Zwei Augen, die dichter nebeneinander liegen als üblich, eine Nase mit zwei Höckern mehr als gewohnt, mindestens doppelt so viele Eckzähne als in der Normalbevölkerung für normal gelten, ein Kleid gefleckt wie ein Gemüseeintopf und voller Mottenlöcher sowie eine knallrote Brille mit dicken Gläsern im Gesicht.

„Guten Appetit.“

„Gerne. Wer sind Sie?“

„Ich bin die hiesige Dorfhexe. Kümmere mich im Auftrag des Bürgermeisters um Sonderaufgaben. Von der Berufsausbildung her Zaubereifachkraft, mit Magister. Im besten Alter, ledig und übrigens insgeheim einen Kinderwunsch hegend . . .“, doch Prinz Rauke hörte da schon nicht mehr zu.

„Das trifft sich ja ausgezeichnet – du kannst mir doch sicher sagen, wie ich zum Turm der Prinzessin Asperagenita finde? Ich habe eine Doku über die Dame im Internet gesehen und bin fest entschlossen, sie zu freien.“

Die Hexe seufzte tief, dann erklärte sie dem Prinzen den Weg so haarfein, dass auch der dümmste Mensch zum Turm der haarigen Jungfer gefunden hätte. Und nur wenig später war Prinz Rauke unterwegs, im tiefen, tiefen Wald den Berg hinauf. Dort oben, hinter dornigen Hecken, stand wahrhaftig ein Turm, sauber betoniert und mindestens fünf Stockwerke hoch.

Prinz Rauke warf sich umgehend in Positur und brüllte: „Lass dein Haar herunter, Asperagenita! Hier spricht dein Gemahl!“

Nichts rührte sich, so dass der Prinz seinen Ruf ein zweites Mal hinauf schmetterte, diesmal doppelt so laut, und siehe! da erschien in dem winzigen schwarzen Fleck von Turmfenster ein winziger heller Fleck, der auf die große Entfernung gar nicht als Gesicht zu erkennen war. Doch war es in der Tat ein Gesicht, das der Prinzessin nämlich, und diese musste nicht lange nachdenken, sondern plärrte nach unten: „Du bist gewiss nur wieder einer dieser Zopf-Fetischisten, die mit meinem Haar Unzucht treiben möchten. Verflucht seien YouTube und deinesgleichen! Schleich dich, Lutscher!“

Der Prinz zählte langsam bis 30, um die Höhe des Turmfensters zu schätzen, bis nicht weit neben ihm auf dem Fels die Flasche TomatenKetchup zerplatzte, welche die Prinzessin just bei der Hand gehabt hatte.

„Ei guckst du! Du hast ja Ketchup auf dem Schuh“, sprach da eine Stimme zu Rauke. Denn plötzlich, wie aus dem sprichwörtlichen Nichts, stand seine Schäufelebekanntschaft neben ihm. „Immer schön langsam, Dicker“, sagte sie, „Du willst doch das Herz dieser Dame erobern, oder?“

Der Prinz nickte.

„Dann streng dich an! Gib dir einfach Mühe!“ ereiferte sie sich. Dann erklärte sie ihm, dass er eine Flasche „Gay Islands Rum“ zu besorgen habe, das sei Asperagenitas Lieblingsgetränk, und man könne es in jeder Tankstelle talauf, talab erwerben, da die Prinzessin überall regelmäßige Kundin sei.

Gesagt – getan! Und kaum war der Prinz wieder am Fuße des Turmes angelangt und hatte seine Absicht zur Übergabe eines Bewerbungsgeschenkes verkündet, begann oben die Kurbel einer Bartwickelmaschine aus der Zeit Max des Heizbaren zu klappern, indem ein wahrlich unglaublich langer blonder Haarzopf ganz sachte dem Boden entgegen fiel, bis er knapp über Raukes Kopf zum Stillstand kam. In den letzten Haarknoten war eine Plastiktüte geknüpft.

„Flasche in die Tüte, Finger weg und abwarten“, kam die Anweisung aus der Höhe.

Der Zopf kletterte nun wieder nach oben, quälend langsam, bis auch der letzte Knoten in der Fensterhöhle verschwunden war.

Eine geraume Zeit geschah überhaupt nichts mehr, dann kamen zwei blitzende Gegenstände aus dem uns inzwischen schon vertrauten Turmfenster geflogen und zersplitterten auf dem Fels. Der Prinz trat näher und erriet aus den Resten, dass es sich um zwei Cognac-Gläsern gehandelt habe.

In diesem Moment knarrte die Turmtür in den verrosteten Angeln und öffnete sich. Der Weg war frei!

„Na – siehst du?“ sagte die kommunale Zaubereifachkraft mit nicht geringem Stolz in der Stimme. „War doch kein Hexenwerk . . .“

Rauke tippte kurz mit dem linken Zeigefinger an seine Schläfe, zwinkerte und verschwand in der dunklen Wendeltreppe.

„Ach!“, seufzte die Hexe. „Ich bin so verdammt gut darin, die Probleme anderer Leute zu lösen. Vielleicht sollte ich mir endlich bei mir selbst auch einmal Mühe geben.“

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