Hinter den Kulissen des Hauses Schickedanz

30.3.2011, 22:00 Uhr
Hinter den Kulissen des Hauses Schickedanz

Sie waren ein Paar wie das personifizierte Wirtschaftswunder, das mit seinem guten Namen die bezahlbare Erfüllung entlegenster Wünsche (von Präservativ bis Fertighaus) garantierte, das mit verwirrend bunten Bildern Begehrlichkeiten zu wecken verstand und über niedrige Preise den Weg in eine wohlig möblierte Existenz ermöglichte.

Selbst als ruchbar wurde, dass Gustav Schickedanz für kurze deutsche Zeit nur noch an „Arier“ seine Päckchen zu schicken gewillt war, fiel nicht wirklich ein Schatten auf die stattliche Gestalt eines Mannes, dem das Grandseigneurhafte wie maßgeschneidert passte. Und wer erinnert sich nicht an die leicht tanten-sanften Vorworte der Frau Grete in den jedes Jahr dicker werdenden Katalogen, in denen orakelnde Binsenweisheiten zu manch schiefer Wirtschaftslage durch die ermahnende Anregung abgedämpft wurden, dass der erschwingliche Konsum und die Freude am Einkauf schon über jede schwierige Lebensphase hinweggeholfen haben?

Die Fürther ganz besonders fühlten sich da angesprochen, denn schließlich lebten sie — und nur sie! — in der „Stadt der Quelle“. Und so hielten Gustav und Grete ihre symbolische blaue Hand schützend über die Kommune, taten mit Spenden wohl, ließen sich selber ehren zu Bürgern höherer Klasse und gaben doch auch mannigfaltig dem Volk zurück. Im gesponserten Sport rannte und sprang man

in ihrem Firmennamen in die Welt hinaus, in geförderten Schulen schloss man sie ins Morgengebet ein: Es war eine seltsam harmonische Verbindung, eine Abhängigkeit gar zwischen der Familie Schickedanz und dem Rest von Fürth.

Als dann vor kurzer Zeit der Konzern den Bach hinunterging, da schüttelten die Fürther ihre Köpfe, und sie hörten es draußen auf dem Friedhof im Familiengrab rotieren: „Wenn das der Gustav noch miterlebt hätte...“, „Mit der Grete wäre es nie so weit gekommen...“ Mit den unsagbaren Vorgängen, die zum Ende der Firma führte, die einst 30000 Mitarbeiter beschäftigte, sollte das Paar nicht in Zusammenhang und damit in Verruf gebracht werden. Was aber ist von ihm und seinem Namen geblieben?

Tatsächlich sind Spuren, die heute noch an die legendäre Unternehmerfamilie und ihre „Quelle“ in der Stadt erinnern, nur mehr schwer zu finden. Die legendäre Hand wurde zurückgezogen. An die Läden in der Moststraße und dann an der Fürther Freiheit erinnern sich nur noch wenige; wie man etwa damals von der Straße, die dann nach dem Unternehmer benannt wurde, durch ein unglaubliches Wirrwarr von Räumen und Fluren, über Treppchen und um Ecken nach vorne kam zum eigentlichen Geschäft am Platz. Ein abenteuerlicher Parcours war das mit überraschenden Wendungen und Entdeckungen, ein wenig wie der dicke Katalog selber, ja: Es war schlichtweg der begehbare Katalog: von den Schuhen zum Geschirr, von den Schreibwaren zur Kittelschürze.

Letztere nahm in der Nachkriegszeit ohnehin verhältnismäßig breiten Raum in dem voluminösen Prospekt ein, und so sah man folgerichtig in Fürth vergleichsweise mehr Frauen ungeniert in der Öffentlichkeit in solch wüst gemusterten und gefährlich farbigen Modellen durch den Alltag spazieren als in anderen Städten.

Brot und Arbeit und erschwingliche Spiele gab Schickedanz den Fürthern, wenngleich sich das große Versandhaus doch hart an der Stadtgrenze in Nürnberg angesiedelt hatte; verwaltet wurde stets an dem Ort, an dem die Familie auch selbst lebte.

Wie oft führte denn auch aus Neugier oder Pilgermentalität der sonntägliche Spaziergang nach Dambach hinaus, wo man auf einem langen Fußmarsch das Privatgelände derer von Schickedanz umrundete — und doch eigentlich gar nichts sah. Zäune, hinter denen sich dichter Wald ausbreitete, Mauern, die nicht zu durch- und überblicken waren. Die Villa vermutete man da irgendwo.

Wirklich öffentlich wurden die Schickedanz’ immer nur, wenn es um Geld ging, um Spenden, Auszeichnungen oder um Hochzeiten und Kinder, die das Fürther Licht erblickten. Als die erste Schickedanz-Tochter Louise 1952 Hans Dedi in der Paulskirche in der Südstadt ehelichte, da stand das Fürther Volk Kopf und Spalier wie anderswo nur bei königlichen Anlässen. Sie im Spitzenkleid und er im Frack: ein Traumpaar, das etwas Glanz auf die triste Stadt abwarf.

Und als der Konzernchef 1977 starb, da gehörte gar der damalige bayerische Ministerpräsident Alfons Goppel zu den Trauergästen und im Gottesdienst — wiederum in der Paulskirche — rezitierte der Schauspieler Veit Relin Hermann Hesse.

Wenn jetzt der ehemalige Erlanger Literaturprofessor Wolfgang Lottes ein Buch mit dem Titel „Im Hause Schickedanz“ vorlegt, dann ist da — nach diversen mehr oder weniger kritischen Biografien und Firmengeschichten — der Wunsch, die schillernde Persönlichkeit Gustav Schickedanz noch einmal auf den ganz normalen privaten Boden zurückzuholen, durchaus erkennbar. Lottes berichtet von seiner eigenen Mutter Emilie, die von 1937 bis 1943 als Erzieherin und Hauslehrerin, als hochgeschätzte Vertrauensperson im Hause Schickedanz Ansehen genoss.

Wenngleich es sich hier um einen nicht unkritischen deutschen Zeitabschnitt handelt, sind die ideologischen und politischen Aspekte nicht Thema dieses Bandes. Weniger aus dem Umkreis der berühmten und wohlhabenden Familie erfährt man denn auch, welch Geistes Wind damals wehte — eher schon durch die kleine Geschichte einer Freundschaft zwischen Emilie Lottes und der Jüdin Irene Benario, die Hitlers Vernichtung entkommen konnte.

Allerdings soll Gustav Schickedanz beim Einstellungsgespräch zu der Erzieherin immerhin gesagt haben, seine Tochter Louise sollte „natürlich, schlicht, selbstständig im Denken und Urteilen sein, frei von falschem Stolz, etwa auf den väterlichen Besitz, freigebig und hilfsbereit, von christlichem Geist geprägt, ohne den Einfluss nationalsozialistischen Gedankenguts“. Dass er in Kriegszeiten in neckischer Verkleidung im Dambacher Anwesen fröhlich Fasching feierte, dass Julius Streicher bei ihm zu Gast war und mit ihm hinter verschlossenen Türen konferierte — man erfährt freilich auch das nebenbei aus dem Buch.

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