Ich töte den Weihnachtsmann

26.12.2012, 15:45 Uhr
Ich töte den Weihnachtsmann

© Winckler

Ich backe Kekse für den Einen. Mit Liebe und Hingabe, mit Zimt und einer Spur Nelken. Diese Plätzchen sind meine letzte Chance. Ich tat schon alles, um ihn endlich zu kriegen.

Schon immer verehrte ich diesen Mann, nur diesen Einen. Ich bin drei Jahre alt. Er kommt an jenem Tag und bringt mir eine neue Puppe – und ich weiß, das ist der Mann, der mir alles geben kann, was ich vom Leben erwarte.

Ich werde fünf, sechs, und als ich sieben bin, schreibe ich ihm lange Briefe – mehrere Seiten – über das, was mir wichtig ist, und das, was ich brauche. Er ist kein Mann vieler Worte, aber er vergisst mich niemals. Ich bekomme alles.

Das Mädchen von nebenan allerdings auch, und so vermute ich, dass sie ihm ebenfalls Briefe schreibt. Ob er ihre mehr mag als meine?

Zum ersten Mal in meinem kleinen Leben lerne ich die Eifersucht kennen, ich bin elf. Ich stehle ihre Briefe nachts von ihrem Fensterbrett, ich lese sie: Sie sind belanglos. Solch ein Mädchen liebt er also, und mehr als mich? Ich verbrenne die Briefe, und als es Zeit ist, schicke ich ihr eine Schachtel Kohlen, damit sie lernt, ihn in Ruhe zu lassen.

Mit sechzehn entscheide ich, dass ich ihn nur einmal zu fassen bekommen müsste. Ich mauere den Kamin enger, aber er bleibt nicht stecken. Ich beschäftige mich eine Weile mit der Mathematik, die Lösungen anbietet, ihn zu fangen (Ohne Beschränkung der Allgemeinheit nehmen wir an, dass die Erde eine Ebene ist. Wir projizieren nun diese Ebene auf eine Gerade, die durch den Käfig läuft, und diese Gerade auf einen Punkt im Käfig. Damit gelangt der Weihnachtsmann in den Käfig), aber ich habe nicht den richtigen Durchblick. Ich brauche ein besseres Rezept und beanspruche professionelle Hilfe.

Dr. Sommer antwortet, ich bräuchte mir nichts dabei zu denken und wäre auf keinen Fall zu jung, um mich ganz auf den Sack zu konzentrieren.

Business-Women rät mir, eine klare Aussprache zu suchen, Fristen zu setzen und auf keinen Fall einen meiner Wünsche zurückzustellen, denn ich sei genauso berechtigt, mir Erfüllung zu verschaffen, wie jeder Mann es ist — und noch mehr, weil ich ja eine Frau sei.

Die Zeitschrift Cornelia antwortet mir folgendermaßen: „Wir alle kennen das Problem verschmähter Liebe. Sollten Sie einen Mann wirklich ernsthaft an sich binden wollen, appellieren sie an seine ritterlichen Instinkte.“

Ich verstehe, was sie damit sagen will, und werfe mich im richtigen Moment vor einen Laster. Es ist ein Coca-Cola-Weihnachtstruck, und ich werde gerettet, allerdings vom Fahrer und nicht von dem Einen, und dabei ist es seine Firma. Er kommt nicht, auch dann nicht, als ich im Krankenhaus liege; vermutlich glaubt er, ich sei tot.

Als ich entlassen werde, gehe ich zum Weihnachtsmarkt und schließe mich im Lebkuchenhaus ein. Ich nehme mit einem Stechpalmenzweig in der Hand Hänsel und Gretel als Geisel und verlange, den Einen zu sprechen, doch sie können ihn nicht auftreiben, weil ein Rentier lahmt. In diesem Winter schneit es früh. Nach mehreren Jahren im Knast – seine Geschenke treffen pünktlich ein – habe ich endlich einen Plan gefasst, mit dem er sich mir nicht mehr entziehen kann.

Ich checke am Flughafen Berlin-Tempelhof ein, halte dem Piloten einer Maschine nach Rio eine scharfe Scherbe von einer zerbrochenen Christbaumkugel an die Kehle und zwinge ihn, den Kurs zum Nordpol zu ändern. Der Pilot fliegt nur bis Tromsö; ein Schneesturm macht die Landung nötig. Im Fernsehen berichten sie von mir, und es steht in jeder Zeitung, aber er meldet sich nicht. Auf der Polizeiwache spielen sie „Last Christmas“ bis ich einen Anfall bekomme und in die Gummizelle gebracht werden muss.

In diesem Jahr bringt er mir nichts, zum ersten Mal. Ich glaube, dass ich böse gewesen bin.

Heute, nach so langer Zeit, hat sich meine Einstellung zu dem Einen geändert. Nicht alle Menschen können geliebt werden, aber so verschmäht zu sein, werde ich nicht ertragen. Und ich weiß jetzt, wie ich es machen muss.

Ich backe Kekse für den Einen. Mit Liebe und Zimt, mit Hingabe und mit einer Spur Arsen. Heute Abend stelle ich sie für ihn vor die Haustür, und dazu ein schönes Glas Milch.

Sie haben Wünsche für das Weihnachtsfest? Das können Sie vergessen. 



 

 

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