In der Masse erklingen Stimmen der Hoffnung

14.7.2017, 15:20 Uhr
In der Masse erklingen Stimmen der Hoffnung

© Foto: Edgar Pfrogner

Es war der Abend des 13. November 2015, als in Paris 130 Menschen ermordet wurden und auf deutschen Fernsehbildschirmen statt des Abendprogramms jäh verstörende Bilder auftauchten. Natürlich war kein TV-Zuschauer bedroht. Oder etwa doch? Michael Herrschel ist sich da nicht so sicher. "Wir können selbstverständlich sehr viel ausblenden, doch die Gewalt beeinflusst auch unser Leben."

Er fragte sich: "Wie verändert denn die Angst vor dem Terror unser Lebensgefühl?" Der 46-Jährige hat sich intensiv mit der ebenso diffusen wie letztlich allgegenwärtigen Bedrohung auseinandergesetzt und auf die Rollen geschaut, die jeder Einzelne in diesem Szenario übernimmt. "Kreuzungen. Lichtpunkte" (64 Seiten, 14,80 Euro) ist nicht zuletzt ein Blick auf das Leben in den großen Städten geworden, in denen so viele Biografien aufeinandertreffen, dass der Einzelne anscheinend in der Menge verschwindet.

Doch Herrschel gelingt es, aus der Masse die individuellen Stimmen hörbar zu machen. Seine Gedichte kommen vermeintlich als Prosatexte daher, verzichten auf Versstruktur oder gar Reime. Was sie heraushebt, ist ihr Rhythmus, der kunstvoller ist, als er zunächst erscheinen mag. Dem Autor ist nicht bang vor Bildern. Er setzt sie in Szene mit der gleichen Unerschrockenheit und Kompromisslosigkeit, wie sie gut gemachten Video-Clips zu eigen ist.

Aber der Mann, der aus Regensburg stammt und in Fürth — unter anderem als Dramaturg der hiesigen Kirchenmusiktage — schon viele Projekte realisiert hat, legt kein modernes Konzept unter seine Arbeit. Die 14 Gedichte stehen nicht ungebunden zusammen, sondern folgen den Stationen des christlichen Kreuzwegs. Die Analogien sind offensichtlich. Es geht um das Urteil, den Weg, das Fallen, den Tod und die Erlösung. Was nicht heißt, dass es nicht ebenso gut möglich ist, diesen Hintergrund komplett zu übersehen und Herrschels Arbeit frei von allen denkbaren Aspekten des Glaubens zu lesen. Wer allerdings den gemeinsamen Nenner sucht, wird auch fündig werden – Hoffnung ist in jedem Fall ein tragfähiges Konzept.

Der Gedichtband entstand in Zusammenarbeit mit Christian Fritsche. Unter dem Dach von dessen Galerie beziehungsweise Edition Promenade wurde daraus ein auf mehreren Ebenen ansprechendes Buch. Zum einen übersetzte Anna Juliette Breitenbach Herrschels Gedichte ins Französische, diese Texte stehen jetzt gleichberechtigt neben den deutschen und schaffen eine Verbindung, die weit über die sprachliche hinausgeht. Es ist ein Zeichen der Gemeinschaft, die keine Barriere akzeptiert, sondern Verständnis über Grenzen erfahrbar macht.

Nächtelanger Prozess

Dazu kommen Werke von Künstlern, die mit Fritsches Galerie in der Hornschuchpromenade durch Ausstellungen verbunden sind. Sie steuern den Worten viel mehr als Illustrationen bei: Karim Chaoui, Jean Chauvelot, Jürgen Durner, Matthieu Gauthier, Anja Molendijk, Arman Tadevosyan und Hjalmar Leander Weiss setzen Bildzeichen, die weiterführen. Das Suchen und Finden dieser Arbeiten sei "nicht selten ein nächtelanger Prozess" gewesen, sagt Herrschel. Inspirierend für alle Beteiligten, wie überhaupt der Gedankenaustausch "in der gemeinsamen Editions- und Übersetzungswerkstatt".

Präsentiert wird die zweisprachige Ausgabe am heutigen Freitag ab 19.30 Uhr in der Auferstehungskirche am Stadtpark. Auf dem Programm steht unter anderem selbstverständlich eine Lesung. Herrschel, der auch als Rezitator tätig ist, übernimmt die deutschen Texte, Christian Fritsche die französischen. Sirka Schwartz-Uppendieck (Orgel) und Markus Rießbeck (Saxophon) spielen dazu Corssover-Collagen von Astor-Piazzolla-Tangos sowie Improvisationen.

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