Intime Begegnung

1.9.2014, 18:00 Uhr
Intime Begegnung

© Foto: Joachim Sobczyk

Ein Bach-Konzert garantiert heute Zulauf. Doch wenn nicht Johann Sebastian, sondern Carl Philipp Emanuel als Vorname im Programm steht, schwindet die Euphorie schnell. So ändern sich die Anschauungen: Fiel im 18. Jahrhundert der Name Bach, dann war die Rede vom zweiten Sprössling, wogegen der „alte Zopf“ von der Leipziger Thomaskirche dem Vergessen anheimfiel. Im 19. Jahrhundert erfolgte die Wiederentdeckung des Ahnherren, dafür versanken seine Söhne im Schatten. Nicht nur im Schatten des Vaters, sondern auch in denen der nachfolgenden Generation, denn Haydn und Mozart boten wieder andere Klänge auf.

Auch Leo Hassler, Richard Strauss und Giacomo Puccini feiern dieses Jahr runde Geburtstage und waren für die Matthäusnacht angekündigt. Doch die Stilvielfalt wäre dann doch zu groß gewesen, überdies sind Strauss und Puccini dermaßen populär, da konzentrierten sich Fink und Kraus lieber auf die Komponisten in der zweiten Reihe.

Türen geöffnet

C.P.E. Bach (1714 bis 1788) hatte das Glück, nicht nur unter dem besten Lehrmeister zu lernen, sondern obendrein die Pflicht, Jura zu studieren. Der Dr. jur. (den er beruflich nie brauchte) öffnete ihm die Türen nach ganz oben, ein Umstand, der seinem Vater, allen Verdiensten zum Trotz, nie zuteil geworden war. Als Cembalist am Hofe Friedrichs des Großen lebte er wie die Made im Speck, ja er komponierte sogar für dessen Schwester Prinzessin Amalie sechs Orgelsonaten für deren Lieblingsinstrument von der Größe einer Dorfkirchenorgel.

Der Auftakt, eine Fantasie und Fuge c-moll, klingt denn auch noch ganz im Stile des großen Johann Sebastian, ernst, feierlich und schön vertrackt. Hingegen verlassen die drei Lieder „Gutes Gewissen“, „Größe Gottes in der Natur“ und „Abendlied“ den Stil des Kirchenliedes und schlagen ariose Pfade in Richtung Opernbühne ein.

Sehr behutsam

Karin Kraus‘ Sopran setzt die Empfindsamkeit des Gesangs, der zwar vor gelegentlichen Gefühlsausbrüchen nicht zurückscheut, sehr behutsam um. Nicht Gefallsucht und Bühnenwirksamkeit, sondern Intimität trotz oder gerade wegen der Koloratur entfalten sich auf wundersame Weise. Die Orgel umspielt die Singstimme mehr, als dass sie sie bloß begleitet. Bachs Liedern gesellen Fink und Kraus noch zwei weitere Arien aus „Orfeo ed Euridice“ und „Alceste“ von Christoph Willibald Gluck (1714 bis 1787) bei. Da wird der Operncharakter schon augen- und ohrenfälliger. Den Abschluss des ersten Teiles bildet schließlich die fünfte von insgesamt sechs Orgelsonaten, 1755 entstanden, ein virtuoses Stück, das schon deutlich auf Mozart vorausweist.

Von Josef Gabriel Rheinberger (1839 bis 1901) kennt man heute allenfalls seine wunderschönen Choräle, allen voran das „Abendlied“. Vor den großen Formen schreckte er zurück, nur zweimal versuchte er sich an der Sinfonie. Auch seine Oratorien und Messen bewegen sich im schlichten Rahmen, bestechen dafür aber durch ihre Intimität. Seine „Missa Puerorum“ für einstimmigen Knabenchor ist Gebrauchsmusik im besten Sinne des Wortes, eine Musik, die für den allsonntäglichen Gebrauch bestimmt war, was eine gewisse Eingängigkeit und emotionalen Zugriff voraussetzt. In einer Zeit, in der der blutleere Cäcilianismus die Kirchenmusik verödete, konzentrierte sich Rheinberger gezielt auf den Dialog zwischen Orgel und Singstimme, der sich zu einer echten Zwiesprache verdichtet. Orgel und Gesang bestechen als Hörerlebnis bereits für sich, sind aber ohne einander schlechterdings undenkbar.

Besonders ragen hier das berührende Graduale heraus sowie das deklamatorische Credo, das in Karin Kraus‘ Interpretation weniger ein Bekenntnis ablegt, als eher den Charakter einer Beichte annimmt. Den Abschluss bildet schließlich Rheinbergers achte Orgelsonate, ein schön vertracktes Fugenstück mit einer abschließenden Passacaglia, die in ihrer hypnotischen Variation des Grundmotivs an die besten Beispiele von J.S. Bach heranreicht. Sie endet mit einem überraschend düster grundierten Pathos. Kein strahlender Zieleinlauf am Ende des Weges, eher ein ernster Empfang. Vielleicht die Furcht des heimkehrenden verlorenen Sohns?

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