Jakob und Esau

1.10.2013, 09:43 Uhr
Jakob und Esau

© Winckler

Sie lagen beisammen, dicht an dicht, kopfüber, kopfunter, und konnten sich schon als Embryonen kaum aushalten. Raum halten, um Gottes Willen Raum schaffen auch dort, wo es eigentlich gar nicht geht, und so boxten sie, blind wie sie waren. Sie traten sich mit ihren kleinen Füßchen, schnappende Fische in ihrem engen Netz. Gefangene in der Raumkapsel Mutter. Rivalen in ihrer ganz persönlichen Frühgeschichte. Alles zeichnete sich schon ab, vor der Geburt, Liebe und Hass und das ganze Drama des Auserwähltseins.

Die Ernährung funktionierte großartig, so wuchsen sie schnell in ihrer lichtdurchfluteten, abgepolsterten Zelle, ihre Kräfte wuchsen und ihr Selbstvertrauen und auch ihre Wut auf den Bruder, den Rivalen, den Fremden und doch so Nahen. So saßen sie sich gegenüber, mit halb geschlossenen Augen. So erkannten sie sich nur als Schatten, als Spiegelung ihrer Selbst und eines Anderen, eines Unsichtbaren, eines..., der ihnen mit seinen Verheißungen schon lange vor ihrer Zeit den Fluch und den Segen aufgezwungen hatte.

Wenn sie sich gar nicht mehr aushalten konnten, und wenn auch der Faustkampf und alle Fußkicks keine Wirkung zeigte, denn weich noch waren alle ihre Knörpelchen und Knöchlein, dann tauchte wieder einer von ihnen ab und sie lagen Kopf bei Fuß, bis auch das bald genügend Unerträglichkeit war. Lange hielten sie es nicht aus in einer Position, hyperkinetische Embryonenteufelchen waren sie, und sie polterten so sehr, dass die Mutter, Rebekka, des Nachts immer wieder erwachte und sorgenvoll fragte: „Was soll das werden, Herr!?“

Was verstand der Unerklärliche, der Ewige schon von den Sorgen der Mütter.

Trostreich sollte das klingen und ermutigend, als er verhieß: „Zwei Völker sind in Deinem Leib. Zwei Stämme trennen sich in Deinem Schoß. Ein Stamm ist dem anderen überlegen, der Ältere muss dem Jüngeren dienen.“

Was sollte, was konnte man schon anfangen mit einem derartigen Satz, der alle Regeln der Erbfolge, des Erstgeburtsrechtes, auch des geringsten Anspruches auf innerfamiliäre Harmonie außer Kraft setzt. Ein furchtbarer Satz. Ein Satz, der Angst machen kann.

Ein Donnersatz, der eine Mutter zur Verzweiflung bringen kann.

Rebekka musste den Satz für sich behalten, abwarten, was da denn bald aus ihrem Leib heraus drängte. Und dann, man wird sehen, was man mit einem derartigen Satz anfangen kann.

Kein Wort mit niemand, auch nicht mit Isaak, dem Vater. Der kannte dieses Drama, hatte es am eigenen Leib erlebt.

Sein Halbbruder Ismael war verjagt worden, zusammen mit seiner Mutter Hagar, der Ägypterin.

Sara hatte die Rivalin nicht aushalten können, wollen, und Sara heißt: Herrin.

Und da wollte die Geliebte, die Sklavin, die Hure Vormund sein! Ausgerechnet die! Also musste sie: ab in die Wüste. Sie hatte es durchsetzen müssen gegen alle und jeden, vor allem gegen Abraham, der seinen wilden Erstgeborenen liebte gegen alle Vernunft. Er wird überleben, war auch dem Vater versprochen, vielleicht war es auch nur das Schuldgefühl gewesen, das ihm, nachdem er auf das Gekreische seiner Frau gehört hatte und das ihn nicht schlafen ließ, glauben machte, dass auch Ismael, der wilde, raue ungestüme Ismael die Trockenheit, die Dürre, die laute, klagende Verzweiflung überleben könnte. Ach, er war schon so oft herumgestromert in der Einsamkeit und hatte doch immer etwas getroffen mit seinem Pfeil, und er hatte Netze ausgelegt für Wachteln und Vögel aller Art. Er kannte Pfiffe und Finten und was man sonst brauchte und kam zurück, stolz und hungrig und mit aufgesprungenen Lippen, wenn die anderen ihn schon aufgegeben hatten nach langer Suche.

Auch Hagar hatte ja ihren Trost empfangen: „Er wird ein Mensch sein wie ein Wildesel“. Ja, so ist er wahrhaftig, empfand seine Mutter in schnellem Stolz. Er schlägt

aus, und er schlägt um sich, wenn man ihn einsperren will. „Seine Hand gegen alle, die Hände aller gegen ihn! Allen seinen Brüdern setzt er sich vors Gesicht.“ Ungeliebt und stark und Kraft ausstrahlend. Wird es so sein? Er, der da liegt, erschöpft und fiebernd und wie von einer Schlange gestochen, auch Er wird Stammvater sein?

Doch Hagar hatte einen Brunnen gefunden, nicht den Verzweiflungsbrunnen, sondern den Brunnen des Lebendigen, der nach ihr schaut, und sie war gerettet worden.

Daran hatte Rebekka gedacht in ihren wachen Nächten, daran hatte sie sich erinnert, als die Unerbittlichen in ihr tobten. Schon wieder ein starkes Geschlecht? Schon wieder Triumph und Verbannung. Müsste auch sie sich einst entscheiden für eines ihrer Kinder? Esau und/oder Jakob? Juden und/oder Palästinenser? Kinder eines Vaters. Zweige eines Stammes. Freunde. Rivalen. Brüder. Feinde?


 

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