Kaffee und Kuchen via Bestellschein

6.3.2015, 14:00 Uhr
Kaffee und Kuchen via Bestellschein

© Foto: Horst Linke

Das Grüppchen Menschen wirkt ein wenig verloren mitten in der Baustellen-Betriebsamkeit. Wände bekommen gerade den letzten Anstrich, Küchenmöbel werden eingepasst, in schwindelerregender Höhe Lampen montiert. . . Markus Reith und sein Samocca-Team schauen Handwerkern nach, die von links nach rechts und von rechts nach links hasten. Eigentlich wollten der Kaffeehausleiter und seine Leute – fünf hauptamtliche Beschäftigte ohne und 15 Menschen mit Handicap – an diesem Tag anpacken, Tische und Stühle aufbauen, Kartons sichten, auspacken, einräumen. Doch weil Maler, Bodenleger und Elektriker noch alle Hände voll zu tun haben, kann die Kaffeehaus-Truppe vorerst nicht viel mehr tun als sich umzusehen und sich zu akklimatisieren.

Dank Samocca wird erstmals eine Arbeitsgruppe aus den Dambacher Werkstätten der Lebenshilfe „ausgelagert“. Das heißt: Wer im Café arbeitet, wagt sich aus dem geschützten Werkstättenbereich und geht überdies einer neuen Beschäftigung nach. Möglich macht es das Geschäftskonzept des Franchise-Unternehmens, das 2003 in Aalen an den Start ging und mit der Eröffnung in Fürth bundesweit 17 mal vertreten sein wird.

Vorerst aber staunt die Runde über die „schönen neuen Räume“ im ersten Stock. Wie berichtet, soll das Café rund 90 Plätze bieten — zum Teil unter Stuckdecken im Altbau mit Blick zur Fußgängerzone, zum Teil im Lichthof unter einem Glasdach. Auch eine Lounge- und eine Kinderspielecke soll es geben.

Yannic Ginser gesteht, er sei „ein bisschen aufgeregt“. Der 22-jährige SpVgg-Fan wird hier bald auch bedienen. Ein Tischchen, das auf seinen Rollstuhl geschraubt wird, soll ihm dabei helfen. Ginser war einer von 25 Bewerbern für die 15 Stellen. Im Herbst gab es eine interne Ausschreibung. Weil nicht alle Kandidaten schreiben können, erklärt Nils Ortlieb, der das Café für die Lebenshilfe entwickelt, bekundeten manche ihr Interesse mündlich. Dann wurde ausgewählt. Wesentliche Kriterien waren Kommunikationsfähigkeit, Belastbarkeit, Hygiene.

Wichtige Tischnummer

Ginser und seine Mitstreiter sind Anfang 20 bis Mitte 50 Jahre alt. Manche wohnen im Elternhaus, andere in Wohnstätten der Lebenshilfe, in WGs, einer eigenen Wohnung. Die einen werden künftig mit dem Fahrdienst zu ihrem Arbeitsplatz gebracht, andere kommen selbständig hierher. Alle miteinander aber haben im vergangenen halben Jahr viel darüber gelernt, wie man Gäste anspricht, wo man einen Strohhalm anfasst, wie man ein Tablett zum Tisch balanciert. . .

Anita Hofmann (54) hat sich vorgenommen, Letzteres immer mit beiden Hände zu fassen. So fühlt sie sich sicherer. Und Melanie Müller weiß spätestens seit ihrer einwöchigen Hospitanz im Samocca-Café in Schwäbisch-Hall, dass sie immer prüfen muss, ob die Gäste ihre Tischnummer auf dem Bestellschein notieren. Denn das ist ein wenig anders als in anderen Cafés: Weil manche der Bedienungen Lese-Rechtschreib- oder Rechenschwächen haben, kreuzen die Kunden an, was sie essen und trinken möchten, und bezahlen an der Theke.

Am Donnerstag um 10 Uhr geht es los. Einen Tag zuvor kommen geladene Gäste zum Pre-Opening, zugleich einer Art Generalprobe. Viel Zeit zum Üben bleibt nicht mehr. Doch Reith und seine Stellvertreterin Kathrin Saffer sind sicher, dass alles klappen wird. Für alle Fälle seien ja auch immer Kräfte ohne Handicap im Café. Zum Beispiel Nicole King, die ihre „Columbia Bakery“ geschlossen hat, um mehr Zeit für die Familie zu haben. Sie freut sich auf den neuen Job und wird vegane Kuchen für das Samocca backen.

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