Kraftvoller Reigen der Eitelkeiten

17.5.2010, 00:00 Uhr
Kraftvoller Reigen der Eitelkeiten

© Hans von Draminski

Einen Kulturort, der so viel sympathische Werkstattatmosphäre atmet, kann man lange suchen. Im leergeräumten Fiedler-Erdgeschoss regieren die Geister des Zerfalls, vergilbte Deckenplatten bilden einen spannenden Kontrast zu tapetenlosen Backsteinwänden. Mittendrin zelebrieren der Posaunist und Komponist Ralf Bauer, die Pianistin Sirka Schwartz-Uppendieck und der Schlagzeuger Sandór Tóth bewusst hemdsärmelig eine Hommage an die ganz Großen des Unterhaltungsjazz. Ellingtons titelgebender »A-Train« hat eine hoffnungslos verstimmte Zugpfeife und Henry Mancinis Rosaroter Panther streift träge, aber wachsam durch die verstaubten Kaufhaus-Flure.

Röchelnde Posaune

Dominiert werden die dank puristischer Dreierbesetzung angenehm knackigen Arrangements von Ralf Bauers kantig und rotzig eingesetzter Posaune, die mal böse schreit, mal erschöpft röchelt und so den allzu oft gehörten Dauerbrennern aus dem Oldtime-Wunschkonzert eine völlig neue Dimension verleiht.

Am Ende spielt das entspannt agierende Trio den »A-Train« noch einmal rückwärts und verwandelt die charmante Zug-Nummer in ein sich lokalbahnartig behäbig dahinschleppendes Schlager-Derivat: Erst der virtuelle Krebsgang macht die bei Ellington durchaus angelegte Simplizität so richtig spürbar. Auf betont fantasievolle Traditionspflege folgt die genau so einfallsreiche Zertrümmerung festgefügter Erwartungshaltungen. Der Tanzteil des Abends mit Musik von Ralf Bauer will keine Geschichte erzählen, will nicht einfach modernes Handlungsballett sein, sondern reflektiert eher Befindlichkeiten, Emotionen und Obsessionen.

Silvana Popa, Anne Devries, Choreograf Ingo Schweiger (»Das Tanzwerk«) und Stephan Scheiderer als »Scheinwerfertänzer« machen einen Reigen der Eitelkeiten zum physisch erfahrbaren Erlebnis, projizieren Leidenschaften und Lüste auf die imaginäre Leinwand kraftvollen Körpertheaters. Cellophanfolien dienen als Kostüme, entworfen von Sascha Bank, die während der Tanzperformance kultische Wandmalereien mit UV-Farbe auf die Backsteinflächen appliziert.

Surreale Graffiti

Eine Schwarzlichtlampe lässt Graffiti und Make-up surreal leuchten. Ansonsten illuminiert nur ein heller blauer LED-Scheinwerfer, von Stephan Scheiderer scheinbar nach dem Zufallsprinzip eingesetzt, die Tanzenden. So bleibt im mystischen Halbdunkel, was Kopulation sein kann oder Kampf. Die Allianzen der abstrakten Figuren wechseln so schnell wie das Licht, wer Freund ist und wer Feind, ändert sich zwischen zwei Atemzügen. So bricht dieses Tanztheater mit den Konventionen, verbiegt die Wirklichkeit - und macht viel Spaß. HvD