Kriminalstatistik 2020

Kinder und Senioren als Opfer: Was der Polizei im Landkreis Fürth Sorge bereitet

25.7.2021, 21:00 Uhr
Nirgendwo anders in ganz Mittelfranken ist die Kriminalitätsbelastung geringer als im Landkreis Fürth. Im Bild: Fürths Kripo-Chef Michael Dietsch (links) und der Zirndorfer Inspektionsleiter Roland Meyer.

© Foto: Thomas Scherer Nirgendwo anders in ganz Mittelfranken ist die Kriminalitätsbelastung geringer als im Landkreis Fürth. Im Bild: Fürths Kripo-Chef Michael Dietsch (links) und der Zirndorfer Inspektionsleiter Roland Meyer.

Woher rühren die günstigen Werte? Sind die Landkreis-Bürger gesetzestreuer als andernorts oder sind Ihre Mitarbeiter besonders eifrig?

Meyer: Das liegt an der Kombination vieler Faktoren. Auf jeden Fall haben wir hochmotivierte Teams. Und wir pflegen mit der Inspektion Stein und der Kripo in Fürth eine sehr enge Kooperation, was auch die räumliche Nähe begünstigt. Auch die Zusammenarbeit mit kommunalen Behörden funktioniert prima. Den Landkreis-Bürger würde ich auch als eher friedliebend einschätzen. Hier wird noch aufeinander geachtet, das zeigen uns Hinweise aus der Bevölkerung, etwa wenn wir darüber informiert werden, dass ein Wagen mit ausländischem Kennzeichen durch ein Wohngebiet fährt. Wir sind dankbar für Hinweise, die brauchen wir. Und die Bevölkerung vertraut uns.

Dietsch: Zugute kommt uns auch die Lage im Speckgürtel von Nürnberg: Dort spielt sich das Nachtleben ab, wer etwas im Schilde führt, sucht eher die Anonymität der Großstadt in Fürth und Nürnberg. Und es führen keine großen Trassen durch den Landkreis, osteuropäische Banden zum Beispiel agieren eher entlang der Autobahnen.

2020 war das Jahr eins der Pandemie: Wie hat sich das auf die Arbeit der Polizei ausgewirkt?

Meyer: Insgesamt hatten wir mit 11.400 Einsätzen nicht weniger Einsätze, sondern sogar 300 mehr als im Vorjahr. Die Tätigkeit hat sich verlagert, wir hatten mehr niederschwellige Einsätze, etwa Ruhestörungen oder Nachbarschaftsstreitigkeiten. Und wir hatten allein 5000 Kontrollen im Kontext der Corona-Schutzmaßnahmen, in 1100 Fällen haben wir mündlich verwarnt oder Bußgeldverfahren eingeleitet. Von illegalen Partys blieben wir aber verschont, die konzentrierten sich eher auf Nürnberg.

Dietsch: Und auch wir sind nur Menschen und mussten darauf schauen, gesund zu bleiben. Das war für alle eine Belastung, schließlich kann bei einer Festnahme keiner den Mindestabstand von 1,5 Metern wahren. Und auch bei uns gibt es Mütter und Väter im Team, doch im Homeoffice können wir nicht arbeiten. Wir wollen und müssen Präsenz zeigen. In der Dienstplanung haben wir die Mitarbeiter strikt in Gruppen getrennt. Fünf Leute der drei Dienststellen waren außerdem permanent zur Kontaktnachverfolgung ans Gesundheitsamt abgestellt. All das galt es auszutarieren.

Aber man sollte doch meinen, es dürfte auch Entlastung gegeben haben. Schließlich lag das öffentliche Leben monatelang brach, die Geschäfte waren geschlossen. Die Zahl der Wohnungseinbrüche etwa ist von 51 auf 40 zurückgegangen. Der bisherige Negativrekord war in 2017 mit 100 Einbrüchen erreicht.

Dietsch: Die positive Entwicklung bei den Wohnungseinbrüchen ist definitiv auf Corona zurückzuführen. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Dämmerungseinbrüche: Die Täter steigen ein, wenn die Leute noch nicht zu Hause sind. Doch viele Menschen waren im Homeoffice, Winterurlaube konnten nicht stattfinden. Die Reisebeschränkungen haben es osteuropäischen Banden nicht ermöglicht einzureisen. Auch bei den einfachen Diebstahl-Delikten haben wir einen deutlichen Rückgang von 537 auf 503 verbucht, bei den schweren von 233 auf 198. Geschäfte, Gaststätten oder Kantinen waren zu, da war nichts zu holen. Wäre die Diebstahlserie auf den Friedhöfen nicht gewesen, sähen die Zahlen noch weit besser aus. Allein in Stein wurden im August 55 solche Fälle angezeigt.

Meyer: Aber diese Fälle konnten alle gelöst werden. Die neunköpfige Bande, die in Stein, Roßtal und Zirndorf zugange war, wurde nach dem Hinweis eines Altmetallhändlers ermittelt. Das hat unserer Aufklärungsquote gut getan. Sie lag bei 70,4 Prozent. Wir haben also mehr als zwei Drittel aller Delikte aufgeklärt, womit wir deutlich über dem bayernweiten Schnitt von 66,4 Prozent liegen. Dass die Zahl von 280 Körperverletzungen nicht zurückging, hat uns selbst überrascht. Kirchweihen, bei denen es zu der einen oder anderen Schlägerei kommt, fanden ja nicht statt. Aber die Stagnation lag wohl daran, dass in der deliktsrelevanten Zeit von Sommer bis zum Herbst keine einschneidenden Infektionsschutzmaßnahmen galten.

Mit den Kontrollen dieser Auflagen dürfte sich die Polizei nicht beliebt gemacht haben, oder?

Meyer: Standen zu viele Leute zusammen, haben die, die ein schlechtes Gewissen hatten, eh Fersengeld gegeben. War Alkohol im Spiel, wurde es schon schwieriger. Wir hatten viele Diskussionen zu führen. Und es ist durchaus passiert, dass uns jemand hüstelnd und mit dem Kommentar "Ach übrigens, ich bin corona-positiv" entgegengetreten ist.

Für die bundesweite Kriminalstatistik wurde ein Anstieg um zehn Prozent im Bereich der häuslichen Gewalt vermeldet, was den Prognosen der Experten in der Kinder- und Jugendhilfe entspricht. Sie wollen das in Ihrem Sicherheitsbericht nicht bestätigen, obwohl die Zahl der angezeigten Delikte von 288 auf 394 stieg, wie das?

Meyer: Wir hatten in den vergangenen Jahren immer eine Steigerung drin. Insoweit glaube ich nicht, dass Corona die Entwicklung maßgeblich beeinflusst hat. Wir hatten auch etliche Pärchen, zu denen wir wiederholt ausrückten, wenn es krachte.

Dietsch: Zu beobachten ist aber, dass der Bedarf an Beratungen, die bei uns auch anonym möglich sind, steigt. Wir haben eine Präventionsbeamtin in Fürth, auch in der PI Zirndorf gibt es zwei Mitarbeiter, die speziell für dieses Thema geschult sind. Allerdings ist die Dunkelziffer hoch. Wissenschaftlichen Studien zufolge erträgt eine Frau sieben Mal Schläge, bevor sie Anzeige erstattet. Und in 80 Prozent der Fälle ist es der Mann, der zuschlägt. Die Hemmschwelle, zuzugeben, dass mich mein Partner schlägt, ist sehr hoch.

Als eine der auffälligsten Entwicklungen stufen Sie die Steigerung im Bereich der Verbreitung pornografischer, vor allem kinderpornografischer Inhalte von 9 auf 20 Fälle ein.

Meyer: In absoluten Zahlen mag das zwar nicht so massiv wirken, aber es ist eine Steigerung, die wir so noch nie hatten. Und jeder einzelne Fall, den wir da aufspüren, ist eklig und abscheulich, diese Bilder wollen Sie nicht sehen.

Dietsch: Unsere technischen Möglichkeiten verbessern sich zusehends. Auch die internationale Zusammenarbeit ist intensiver. Wird in den USA ein Rechner zu einer Adresse bei uns zurückverfolgt, werden wir alarmiert. Aber hinter Kinderpornografie steckt oft auch sexueller Missbrauch. Insoweit werte ich es noch als positiv, dass wir im Landkreis zumindest keinen schweren Fall sexuellen Missbrauchs aufgedeckt haben.

Zu einem Dauerproblem entwickeln sich Betrügereien an Senioren, Stichwort Enkel-Trick, Callcenter-Betrug oder falsche Polizisten. In Ihrem Bericht finden sich keine Zahlen dazu, warum?

Dietsch: Diese Anrufe kommen meistens aus dem Ausland, und wenn das Callcenter in der Türkei sitzt, ist dort der Tatort, selbst wenn die Geldabholer vor Ort zugange sind, weshalb die Fälle in unserer Statistik nicht erfasst werden. Zahlen haben wir für ganz Mittelfranken und da wurden im Vorjahr 2200 solcher Delikte, einschließlich der Versuche, angezeigt. 17 Mal hatten die Täter allein als falsche Polizeibeamte Erfolg, sie haben mit dieser miesen Masche insgesamt 1,2 Millionen Euro erbeutet. Diese Anzahl hat sich im ersten Halbjahr 2021 bereits verdoppelt. Das Problem wächst sich aus, es wird uns also auch in Zukunft massiv beschäftigen.


Falsche Polizisten ergaunern am Telefon 1,2 Millionen Euro


Meyer: Wir steuern mit Info-Kampagnen gegen, unter anderem haben wir Filialleiter der Banken angeschrieben, ihre Mitarbeiter darauf hinzuweisen, dass es durchaus angebracht ist, uns zu informieren, wenn ein Senior, der sonst nur 100 Euro abhebt, plötzlich 20.000 Euro will. So konnten wir Anfang dieses Jahres vier Fälle verhindern, bei denen Betrüger Senioren um 130.000 Euro prellen wollten. Wir gehen davon aus, dass das Dunkelfeld massiv hoch ist. Die Menschen schämen sich, wenn sie merken, dass sie auf einen Betrug reingefallen sind. Wer Anzeige erstattet, kommt oft erst ein, zwei Tage später. Doch wenn das Geld übergeben ist, ist es zu spät.

Unsere Gesprächspartner: Roland Meyer (59) leitet seit 2014 die Polizeiinspektion (PI) Zirndorf. Er hat ein Team von 89 Mitarbeitern, allerdings sind allein 18 Leute für Transporte Abgeschobener und Gefangener in ganz Mittelfranken zuständig. Der gebürtige Neustadt-Aischer ist verheiratet, hat einen erwachsenen Sohn und lebt in Markt Erlbach.

Michael Dietsch (49) ist in Fürth geboren und wertet es als "großes Glück", seiner Heimatstadt bisher treu bleiben zu können. Seit 2020 ist er Chef der Kriminalpolizei Fürth. Mit 80 Kollegen arbeitet sie mit den beiden Landkreis-Inspektionen Zirndorf und Stein (40 Mitarbeiter) eng zusammen. Wer welche Arbeiten erledigt, definiert ein Aufgabenkatalog, die Kripo ermittelt in der Regel in allen schwereren Delikten. Dietsch ist ebenfalls verheiratet und hat eine siebenjährige Tochter.

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