Künstler in Wartestellung

14.9.2010, 15:00 Uhr
Künstler in Wartestellung

© Hans-Joachim Winckler

Sie warten beim Einkaufen in Fürther Läden an der Kasse. Meistens aber sind sie im Bahnhof anzutreffen, wo sie ihre Kunstwerke präsentieren. Die Studenten haben den verwaisten ersten Stock zu ihrem kreativen Zentrum erkoren und dort Arbeiten zum Thema "warten" installiert.

"Als wir die Örtlichkeit zum ersten Mal sahen, fehlten uns die Worte. So viel Platz hatten wir nicht erwartet. Dass so etwas leersteht, ist unglaublich", erzählt Professor Andreas Mayer-Brennenstuhl, der seine Schützlinge begleitet. Seinen Projektvorschlag nahmen die Studenten gerne an, weil ihnen rasch klar wurde, dass die Vorgabe "Warten" weit gespannt ist. Das Motto lässt jede Menge kreativen Spielraum. So sind qualitativ hochwertige Arbeiten entstanden.

Klassisch ist die Fürther Künstlerin Barbara Engelhardt vorgegangen: Sie hat Wartende am Gleis fotografiert, über Sitzen hängend, über das Geländer gebeugt, liegend. In Engelhardts Zimmer sitzt Jan Wiechert bei einer Tätigkeit, die junge Männer eher selten ausüben: er stickt. Endlos. Und zwar Züge auf eine Borte. Die Kreuzstiche sehen perfekt aus. Und langweilig ist ihm nicht, wie er betont: "Das Handarbeiten beruhigt mich."

Geht man den langen Gang weiter, kommt man zu Julia Brielmanns "Bin gleich zurück". Koffer, Stuhl, Notizzettel, Kaffee - alles hat sie einfach stehen lassen, als sei sie eben mal weg. Hintergrund ist die zunehmende Armut im Lande: immer mehr Menschen suchen im öffentlichen Raum nach verwertbaren Gegenständen.

Postkarten verteilt

Sie betrachten den Bahnhof auf eine ganz andere Art. Katrin Dilli und Annika Schröpfer setzen auf die Einbeziehung der Bevölkerung. Bei ihrem Projekt "Worauf wartet Fürth?" werden an Passanten in der Innenstadt Postkarten verteilt, auf denen man aufschreiben soll, worauf man so wartet. Bisher findet sich auffällig oft die Antwort "auf nichts".

Furios ist Joana Jambrichs Rauminstallation "Warteorakel". Sie besteht aus einer Kugelbahn, die sich kreuz und quer durch den Raum schlängelt. Alles ist total abgedunkelt und wird nur durch Schwarzlicht erhellt. Das strahlt magisch vor allem die weißen rollenden Kugeln an. Man stellt eine Ja- oder Nein-Frage, betätigt einen Mechanismus, der die Kugel wie bei einem Flipper startet und wartet auf die Antwort. Am Ende plumpst sie in ein Ja- oder ein Nein-Feld. Auf der Vernissage sind die Gäste so begeistert, dass der Auslöser kaputtgeht und repariert werden muss.

Viel Hallo löst auch "Kassiopeia" aus, die Idee von Janina Huland: Wie bei Michael Endes "Momo" tritt eine Schildkröte auf, die vorwärts und rückwärts läuft. Nur dass das Tier bei Huland riesig und grellpink ist. Auch hier drücken die Besucher so oft auf den Knopf, der die Schildkröte ruft, dass die junge Frau die Technik am nächsten Tag wieder instand setzen muss. Karima Klasens "Loops" sind Riesenschlingen aus Krepp, sie sich Pink und Schwarz wie liegende Achter im ganzen Raum ausdehnen - gefangen in der Zeitschleife. Claudia Muth steuert Bildprojektionen bei, die alltägliche Handlungen zeigen. Unter dem Titel "Momente auflösen" entflammt ein Streichholz und verlischt, ein Ei wird gekocht, dazu klickt es im Sekundentakt.

Im Raubtierkäfig

Tilly Schmidt fasst warten als herumtigern auf - und zwar wörtlich. Sie hat in einem Zoo einen Tiger im Käfig gefilmt, der nervös auf und ab läuft. Vor dem Film befinden sich Gitterstäbe. Im Bar-Raum, den das Babylon-Team bewirtschaftet, hat Teresa Schmidt-Meinecke große Sanduhren aufgebaut, die man kippen kann. In unterschiedlichem Tempo rinnen Flüssigkeiten durch die bunten Stundegläser und illustrieren das Vergehen der Zeit. Schließlich verläuft jeder Kneipen-Abend anders. Lena Brockers Reich ist mit transparenten Stoffbahnen ausgekleidet, eine "RaumWelt", die an Spinnennetze erinnert. Wer eintritt, hat das Gefühl, sich in einem Kokon zu befinden.

Dann ist da noch Johannes Leidenberger, der unter dem Titel "nutzen" einen großen Technik-Haufen aus Ventilatoren, PCs und Waschmaschinen zusammengetragen hat. Sie sollen das Leben erleichtern und nehmen doch so viel Platz weg. Erstaunlich. Schon wenn man ankommt, wird man in der Bahnhofshalle von einem grauen Betonkoffer empfangen, den Christof Kraus dort deponiert hat. Die Treppe hinauf zur Ausstellung ist dann mit Zitaten zum Thema "Warten" und mit Silhouetten wartender Personen geschmückt.

Künstler in Wartestellung

Nicht nur das - ganz Fürth wartet: auf bessere Zeiten - und in der Fußgängerzone in "Warteinseln", die mit Liegestühlen ausstaffiert sind. Bei den Performances, die lokale Künstler hier zeigen, schauen auch die Studenten vorbei.