Lippen küssen so lau

14.7.2015, 12:00 Uhr
Lippen küssen so lau

© Foto: Thomas Scherer

„Musikalische Komödie“ nennt Franz Lehár die Operette „Giuditta“, sein letztes und wohl auch reifstes Bühnenstück. Damit wird dieses Werk in mehrerlei Hinsicht unterbewertet. Musikalisch kann es durchaus mit der Gattung „Spieloper“ mithalten: Für die beiden Hauptrollen hat der Komponist Arien und Duette mit Tiefgang und hohen Ansprüchen an die Interpreten komponiert, und das Orchester darf in Walzerseligkeit schwelgen, aber auch mit feurig-temperamentvollen Vor- und Zwischenspielen aufwarten.

Und so haben viele Stars der Opernbühne diese Paraderollen in ihr Repertoire aufgenommen. Bei der Uraufführung an keinem geringeren Ort als der Wiener Staatsoper 1934 haben die Philharmoniker Lehárs Musik unter seiner Leitung erklingen lassen. Auch inhaltlich hebt sich das Werk vom oft strapazierten Operettenschema mit Verwicklungen und Happy End ab. Dies wird am sozialen Abstieg von Giuditta und Octavio deutlich, die beide wohl einer ungewissen und düsteren Zukunft entgegengehen, aber auch an Randthemen wie Kolonialismus, Militarismus und die Rolle der Frau in den dreißiger Jahren.

Musikalisch steht und fällt „Giuditta“ mit den beiden Hauptrollen, und hier hatte die Staatsoperette Dresden bei ihrem viertägigen Gastspiel im Stadttheater mit dem Tenor Artjom Korotkov einen Sänger mit tenoralem Schmelz und Stimmkraft, der den inneren Zwiespalt dieser Rolle zwischen Liebe und Pflichterfüllung auch deutlich werden ließ.

Die Besetzung der Titelfigur mit Ingeborg Schöpf, einer nicht mehr ganz taufrischen Sopranistin, war aber schon problematisch. Schrille Töne in den höheren Lagen, fast immer in der gleichen Lautstärke, angereichert mit viel Vibrato — von sinnlich-betörendem Stimmglanz war nichts zu hören, und ihr Versprechen „Meine Lippen, sie küssen so heiß“ konnte man Schöpf — 2012 sprang sie beim ZDF-Silvesterkonzert der Dresdner Staatskapelle unter Thielemann in der Semperoper kurzfristig ein — nur vom Outfit, aber nicht von der vokalen Ausstrahlung her abnehmen.

In der dramaturgisch, nicht stimmlich untergeordneten Rolle des gehörnten Ehemannes Manuele Biffi bot Frank Blees eine eindrucksvolle Charakterstudie mit schöner Baritonstimme. Im Clownskostüm schuf er Parallelen zum ebenfalls eifersüchtigen Bajazzo in Leoncavallos Oper, ein tiefsinniger Regieeinfall.

Dröhnendes Orchester

Als Buffopaar Anita und Pierrino, auf das Lehár auch in diesem Werk nicht verzichten wollte, agierten Isabell Schmidt und Andreas Sauerzapf, die ein bisschen Schwung in den Laden brachten. Christian Garbosnik am Pult ließ das Orchester klanggewaltig aufspielen und kostete Lehárs Melodienseligkeit voll aus; es war aber vor allem im ersten Teil zu laut, so dass die Sänger immer wieder zugedeckt wurden.

Doch auch das Bühnengeschehen konfrontierte mit einigen Ungereimtheiten. Der Chor musste etwa im Etablissement „Alcazar“ im vierten Bild recht eigenartige Bewegungen in Zeitlupe ausführen, Stimmung unter den bunt gewandeten Kneipengästen aus den verschiedenen Kulturen konnte da nicht aufkommen. Auch die tänzelnden Krankenschwestern in dem wie ein Lazarett aussehenden Zeltlager waren gewöhnungsbedürftig. Eine schlimme Entgleisung leistete sich die Regie (Robert Lehmeier) in der Szene, in der ein Darsteller mit übergestülptem Schimpansenkopf wild gestikulierend herumspringt und den Gästen Angst einjagt – Symbol für noch nicht zivilisierte Afrikaner? Zu Herzen ging dagegen die wehmütige Abschiedsstimmung im fünften Bild mit Octavio als Barpianist und Giuditta als aufgetakelte Dame, die sich von Männern aushalten lässt – beide haben sich zweifellos nichts mehr zu sagen.

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