Lustlose Schüler: "Wie eine tickende Zeitbombe"

10.9.2018, 16:00 Uhr
Lustlose Schüler:

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Lustlose Schüler:

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Herr Held, Ex-Bundespräsident Köhler hat Ihnen vor zehn Jahren den Bundesverdienstorden verliehen, weil ihn das Modell Schülercoach begeistert hat. Was ist mit seinen Nachfolgern? Hat sich Herr Steinmeier schon bei Ihnen gemeldet?

Held: Nein. Aber seine Frau, Elke Büdenbender. Wir hatten im Oktober ein gutes Gespräch in Berlin. Sie war sehr angetan und versprach, uns zu unterstützen. Bislang habe ich aber noch nichts von ihr gehört.
 
Ist das Ihr Grundproblem? Schülercoach ist inzwischen 13 Jahre alt, aber Sie treten nach einem furiosen Start inzwischen auf der Stelle?

Held: Wir sind noch mit Teams in 14 Schulen vertreten, hauptsächlich in Stadt und Landkreis Fürth und im Nürnberger Land. Derzeit setzen sich rund 140 Menschen ehrenamtlich als Schülercoach ein. Da ist über die Jahre leider einiges weggebröckelt. Obwohl Schüler unsere Begleitung wünschen, wird es immer schwerer, Menschen für dieses Engagement zu gewinnen.
 
Weshalb?

Held: Es fehlt uns an Aufmerksamkeit. Und es fehlt an handfester Unterstützung durch öffentliche Stellen.
 
Was meinen Sie genau?

Held: Deutschland geht es auf den ersten Blick sehr gut, es gibt beispielsweise einen Lehrstellenüberschuss. Auf den zweiten Blick offenbaren sich Probleme, die wie tickende Zeitbomben sind. Die Zahl der Schul- und Ausbildungsabbrecher steigt. Von den Langzeitarbeitslosen sind die Hälfte unter 25 Jahre alt. Das Jobcenter und andere doktern mit allen möglichen Maßnahmen an ihnen herum. Aber für Prävention, also um vorzubeugen, dass es überhaupt zu solchen Hartz-IV-Karrieren kommt, ist offensichtlich kein Geld da.
 
Brauchen Sie denn so viel Geld? Die Schülercoaches arbeiten doch ehrenamtlich . . .

Held: Das schon, aber um unser Modell in die Fläche zu tragen und an noch mehr Schulen zu bringen, müsste die Initiative professionell organisiert werden, und das geht eben nicht allein über Spenden, die wir zum Glück immer wieder bekommen.
 In Stadt und Landkreis Fürth gibt es längst Angebote wie JobChecker, die Schülern helfen sollen, eine Ausbildung zu finden . . .
Held: . . . ja, und das ist auch gut so. Das Problem ist nur, dass unmotivierte, lustlose Jugendliche diese Angebote oft nicht annehmen werden. Emotionale Probleme kann man nicht rational lösen.
 
Und Schülercoach setzt auf Emotionen?

Held: Ja. Wir bilden Tandems, ein Ehrenamtlicher mit Lebenserfahrung kümmert sich gezielt um einen Schüler, er begleitet ihn im Idealfall ab der siebten Klasse für drei Jahre. Sie bauen ein Vertrauensverhältnis auf. Er motiviert, hilft dabei, dass der Jugendliche wieder an sich glaubt, sein eigenes Potenzial entdeckt und bereit ist, es zu nutzen – das funktioniert nur über die Beziehungsebene.
 
Woran liegt es, dass manche Jugendliche nicht an sich glauben, keine Perspektiven sehen?

Held: Die familiären Strukturen haben sich geändert. Familie gibt heute aus vielen Gründen manchmal keinen Halt mehr. Den Heranwachsenden fehlt es an entsprechenden Vorbildern und Bezugspersonen. Schule und Sozialämter können das nicht alles auffangen.
 
Aber der Schülercoach?

Held: Nicht immer, aber sehr, sehr oft. Unsere Coaches haben inzwischen über 2000 Jugendliche begleitet, von denen über 90 Prozent nahtlos in eine berufliche Ausbildung kamen. Diese emotionale Spende, wie ich sie gerne nenne, eines Coaches lässt in jungen Menschen die Hoffnung wachsen, sich selbst ein besseres Leben erarbeiten zu können.
 
Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Projekts?

Held: Experten-Studien belegen längst, dass das Problem perspektivloser und unmotivierter Jugendlicher von unserer Gesellschaft unterschätzt wird. Sie sagen außerdem, dass die Beziehungsebene der Schlüssel ist, um es zu lösen. Ich wünsche mir, dass diese Fachleute zusammenkommen und dass ihnen die Öffentlichkeit Gehör schenkt. Nur so erkennen die Menschen, dass wir damit vor einer großen gesamtgesellschaftlichen Aufgabe stehen.


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