Mit Ausrufezeichen auf dem Weg durchs Leben

25.8.2011, 11:00 Uhr
Mit Ausrufezeichen auf dem Weg durchs Leben

© Michael Müller

Was als Nebenbeschäftigung der vielseitig interessierten Literaturwissenschaftlerin begann, ist inzwischen zur Hauptbeschäftigung geworden. Mit 30 freien Trauungen und 120 Trauerfeiern ist die 42-Jährige gut beschäftigt. Einziger Nachteil: Der Terminplan lässt sich nicht von langer Hand im Vorfeld schön gleichmäßig gestalten. Mal jagt eine Bestattungsfeier die nächste, mal wird heftig geheiratet, und dann legen Tod und Amor wieder eine Pause ein. Ohne ein gerüttelt Maß an Routine wären diese Schwankungen kaum zu bewältigen.

Der 14-tägige Ausnahmezustand, den die Fürtherin zur Vorbereitung einer eineinhalbstündigen Trauerfeier für zwei Tsunami-Opfer einmal in Kauf genommen hatte, ist passé, wie auch die Tränen vor der ersten Trauerfeier. Was Bettina Sorge anfangs sehr mitgenommen hat, waren die unpersönlichen Begleitumstände des Sterbens im Krankenhaus. „Es muss doch auch anders gehen“, hat sie sich gedacht.

Das war vor elf Jahren. Inzwischen hat sich auch im Klinikalltag vieles verbessert, berichtet Sorge und meint damit, dass die Verstorbenen nicht mehr einfach in Abstellkammern verfrachtet werden. An die unvermeidbaren Begleitumstände des klinischen Alltags hat sie sich inzwischen aber ebenso gewöhnt, wie an manche Allüren der von ihr getrauten Paare.

Allerdings gibt es Grenzen. Zu exzentrische Feiern, die nur noch als Event betrachtet werden, lehnt Sorge ab. Grenzwertig war zum Beispiel eine Trauung direkt nach einem Footballspiel im Sportstadion. Über Stadionlautsprecher zitierte Sorge den völlig ahnungslosen, verschwitzten Bräutigam zum Eingang, durch den die Braut hereingeführt wurde.

„Ein bisschen mulmig war mir schon, weil ich nicht wusste, wie er reagieren wird“, bekennt die Fürtherin. Darauf eingelassen hat sie sich nur, weil das Paar bereits den Gang zum Standesamt hinter sich hatte. Nein gesagt hat sie zum Wunsch einer Mittelalterhochzeit, bei der sie mittelalterlich reden sollte. Sorge: „Es ist alles in Ordnung, so lange die Ernsthaftigkeit des Vorgangs nicht völlig der reinen Unterhaltung geopfert wird.“ Mit der individuellen Gestaltung ihrer Feiern hebt sich Sorge vom Ritus der Kirchen ab. Im Christentum fühlt sie sich nicht hundertprozentig aufgehoben. Weil das Verkündigen und Missionieren nicht ihre Sache ist, kam für Sorge die Kirche nie als Arbeitgeber in Frage. Bestätigt sieht sie sich von Angehörigen, die bewusst eine freie Trauerrednerin engagieren, weil ihnen die christliche Feier zu unpersönlich ist.

Klippen der Selbstständigkeit

Als langjährige Mitorganisatorin des Gründerwettbewerbs Start up beim Sparkassenverlag hatte sie die Chancen und Klippen der Selbstständigkeit kennengelernt. Eine Tagung über Trauerrituale, die ihr Interesse erregt hatte, war der Impuls, um sich selbst als Trauerrednerin zu versuchen. Doch es war gar nicht so einfach, hier Fuß zu fassen. „Von den Beerdigungsinstituten, bei denen ich anfragte, ob sie eine freie Rednerin brauchen können, bekam ich reihenweise Absagen“, erinnert sich die gebürtige Riedlingerin. Den Einstieg schaffte sie schließlich versuchsweise bei einer Bestatterin, die gerade ihr Unternehmen gegründet hatte.

Aus dem Freundeskreis wurde dann der Wunsch an Sorge herangetragen, doch auch einmal eine Trauung zu gestalten. Vor allem ost-westdeutsche Paare, muslimisch-christliche Verbindungen und deutsch-amerikanische Ehen gehören zu den Schwerpunkten von Sorges Trauungen. Daneben nehmen auch ältere Paare ihre Dienste in Anspruch, die aus steuerlichen Gründen und wegen ihrer Rentenansprüche dem Standesamt aus dem Weg gehen. Einige gleichgeschlechtliche Paare gehören ebenfalls zu ihrer Kundschaft.

Kreativität als Kapital

Während es für Trauerfeiern Fortbildungen und Textempfehlungen die Bundesarbeitsgemeinschaft der Trauerredner gibt, ist Sorge bei der Gestaltung von Hochzeiten auf die eigene Kreativität angewiesen. Die Rituale, die sich ums Ja-Wort ranken, hat sie teils aus dem Internet zusammengesucht, teils in alten Traditionen neu entdeckt. Zu letzteren gehört das Geschenk von Brot und Salz. Die Verbindung zweier Menschen wird aber auch mit einem Band, mit Rosengeschenk, Hochzeitskerze oder mit dem Mischen von verschiedenfarbigem Sand verdeutlicht. Zu Sorges Lieblingsritualen gehört das dreimalige Trinken aus einem zweigeteilten Kelch in Herzform.

„Rituale sind etwas Kostbares, weil sie Gemeinschaft und Erinnerungspunkte schaffen“, erklärt die 42-Jährige. Im schnelllebigen Alltag gehen sie leicht verloren. Für Sorge geht es in erster Linie nicht um Äußerlichkeiten, sondern um die innere Haltung, das Bewusstsein der Besonderheit eines Lebensabschnitts.

Der Kontrast von Trauer und Trauung bereitet der Fürtherin keine Probleme. Für sie zeigt sich darin der Fluss des Lebens. Wenn Kleinkinder bei Trauerfeiern unbekümmert drauflosplappern, bei Trauungen Gäste sitzen, die gerade ihren Partner verloren haben, dann denkt Bettina Sorge an Hermann Hesses Siddhartha, der das Leben in seiner Dynamik erkennt. „Mir ist es schon wichtig, das ganze Leben zu begleiten“, sagt Sorge, die auch Kinderfeiern und Hochzeitsjubiläen gestaltet. Denn Rituale machen für sie Sinn. Gerade im zunehmend oberflächlich dahinrasenden Alltag.

 

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