Nähtrend: "Meine Maschine ist mein Kumpel"

13.6.2019, 18:00 Uhr
Nähtrend:

© Foto: Gwendolyn Kuhn

Wenn Ihre Nähmaschine ein Mensch wäre – wäre sie ein guter Kumpel oder eine launische Diva?

Julia Harth: Sie wäre für mich ein echt guter und verlässlicher Kumpel. Sie war ein Geschenk zu meinem 18. Geburtstag und seit 32 Jahren begleitet sie mich nun – das ist länger, als ich jemals mit einem Mann zusammen war. Im Stich gelassen hat sie mich in all den Jahren nicht; ich würde sie also jederzeit wieder heiraten. In all den Jahren waren auch keine größeren Reparaturen fällig. Lediglich das Lämpchen und das Gaspedal habe ich mal austauschen lassen. Ich kenne meine Nähmaschine in- und auswendig und weiß, wann sie zum Beispiel nach einem Tröpfchen Öl verlangt oder dass die unsaubere Naht an der falschen Fadenspannung liegt. 



 Aber ganz ehrlich – hätten Sie Ihre Nähmaschine nicht auch schon mal gern in die Ecke gepfeffert? 

Harth: Ja, solche Momente gibt es natürlich schon auch. Aber eigentlich bin in solchen Situationen ich selbst schuld. Ich hätte sie dann vielleicht früher ölen müssen oder die Fusseln entfernen, die sich an einer ungünstigen Stelle verfangen haben. Dann könnte ich sie manchmal erwürgen, obwohl es gerechter wäre, ich würde mich an meine eigene Kehle fassen. Denn manchmal verlange ich auch Dinge von ihr, die sie einfach gar nicht mag. Dehnbare Stoffe zum Beispiel näht sie nicht gern. Dafür nutze ich dann noch ein anderes Modell. 
 

Was war das Schönste, das Sie jemals genäht haben? 

Harth: Da fällt mir spontan nichts ein. Oftmals ist es gar nicht unbedingt das, was am Ende rauskommt, sondern es sind die Stoffe und deren Geschichte, die mich begeistern. Eine ältere Frau um die 70 hat mir zum Beispiel einen Ballen Mantelstoff vorbeigebracht. Den hatten ihre Eltern auf der Flucht aus dem Sudetenland mitgenommen. Damals war ein solcher Stoff noch sehr wertvoll. Daraus jetzt etwas Neues nähen zu dürfen, finde ich wunderbar.
 

Sie verwenden für die Kleidung, die Sie herstellen, nur gebrauchte Stoffe oder Reste. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Harth: Normalerweise ist es so, dass man Stoff kauft und daraus eine Kollektion schneidert. Als ich vor gut acht Jahren meinen Laden eröffnet habe, hat mir dafür schlicht das Geld gefehlt. Deshalb habe ich gebrauchte Stoffe weiterverarbeitet. Damals war das noch nicht so gern gesehen, den Begriff „upcycling“, also aus etwas Altem wieder etwas Neues zu kreieren, gab es auch noch nicht. Erst seit ungefähr sechs Jahren beobachte ich ein Umdenken. Die Leute finden diese Art der Weiterverwertung durchaus gut. Viele bringen mir zum Beispiel auch Stoffe von ihrer Oma und bitten mich, ihnen daraus etwas zu schneidern. Oder ich zeige ihnen, wie sie daraus etwas machen können. Ich selbst habe für mich schon immer gern Gebrauchtes gekauft oder mir eben selber etwas genäht.

Nähtrend:

© Foto: Stefan Hippel

Was ist Ihrer Ansicht nach der Grund dafür, dass Nähen seit einigen Jahren einen echten Boom erfährt?

Harth: Ich glaube, dass viele Menschen die Nase voll haben von unpersönlichen Industrieprodukten. Beim Selbermachen kehrt man quasi zum Ursprung zurück und sieht, wie etwas entsteht. Außerdem macht es Spaß, etwas mit seinen eigenen Händen herzustellen. Schneidern hat den Vorteil, dass auch mit wenigen Kenntnissen etwas Hübsches rauskommen kann.
 

Was würden Sie jemandem raten, der damit liebäugelt, sich auch eine Nähmaschine anzuschaffen?

Harth: Ich würde empfehlen, eine gebrauchte Maschine zu kaufen, die noch aus Gusseisen und nicht aus Plastik ist. Man braucht auch nicht viele Funktionen, wenige Stiche reichen für den Anfang. Wer nähen will, sollte außerdem Lust haben am Fitzeln und Geduld und Kreativität mitbringen. 

Keine Kommentare