NSU-Experte: Zschäpe hat keine Chance

4.3.2016, 16:00 Uhr
NSU-Experte: Zschäpe hat keine Chance

© Foto: Gebert/dpa

Die Anklage ist erdrückend, die Taten sind monströs: Zehn Morde, zwei Bombenanschläge, 15 Überfälle auf Banken und Supermärkte im Zeitraum von 1998 bis 2011, nicht zuletzt die Bildung einer terroristischen Vereinigung listet die Anklageschrift auf. Dass genügend Beweismaterial vorliegt, um den Prozess zu führen, verdankt sich einem Zufall, respektive einer Fehleinschätzung. Eigentlich sollte das Feuer, das Beate Zschäpe im Unterschlupf des NSU legte, sämtliches Beweismaterial vernichten. Stattdessen kam es zu einer Explosion, die die Flammen sofort wieder löschte. „Ansonsten hätte es schlecht ausgesehen“, sagt Alexander Hoffmann.

Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass der NSU allein aus Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt bestand. Dieses Trio habe Unterstützung von Ralf Wohlleben und drei weiteren mitangeklagten Helfern bezogen, ansonsten aber alle Verbrechen alleine begangen. Eine These, die Alexander Hoffmann für nicht glaubwürdig hält. Nach seiner Einschätzung hat das Trio viel weitreichendere Unterstützung durch die NPD und deren Ableger erfahren.

Warum dann aber die Begrenzung auf drei Personen? Hoffmann glaubt, es gebe neben dem Druck, Ergebnisse vorzuweisen, ein starkes politisches Interesse daran, dass die Bevölkerung den NSU für tot und erledigt halte. Aber vielleicht bestand der NSU eben doch neben den drei Bekannten aus einer unbekannten Anzahl weiterer Terroristen? Das Oberlandesgericht (OLG) München hätte Hoffmanns Ansicht nach die Anklageschrift durchaus zurückweisen können – mit der Auflage, sie auf weitere Verdächtige zu überprüfen. Doch das OLG nahm die Schrift an, „sonst hätte die Bevölkerung Krach geschlagen“.

In einem Exkurs umriss Hoffmann das Wirken des rechtsradikalen Thüringer Heimatschutzes in den 90er Jahren sowie der sächsischen Vereinigung „Blood and Honour“, die sich vor allem propagandistisch betätige und auf Rock mit nazistischen Texten spezialisiert habe. Demnach haben Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt sich in Jena zusammengetan, tauchten 1998 ab und fanden in Chemnitz bei Blood and Honour Unterschlupf. Dort müssten sie laut Hoffmann „massive Unterstützung durch ein organisiertes Netzwerk“ erfahren haben.

An diesem Punkt kommen die V-Leute ins Spiel, Rechtsradikale und Kriminelle, die den Staat über diverse Demonstrationen und Aktionen unterrichten. „Meine Mandantin will wissen, ob der Staat und die V-Männer von den Anschlägen gewusst haben“, erläutert Hoffmann das Dilemma. Das Problem sei: Je mehr V-Männer Kenntnis hatten, umso mäßiger müsste die Strafe für Zschäpe ausfallen; denn dann hätte der Staat ja zugeschaut – beziehungsweise weg.

Wirkung verpuffte

Der NSU, erläuterte Hoffmann, habe eine Doppelstrategie verfolgt. Zum einen beging er Taten, die nicht auf Anhieb als nazistisch einzuschätzen waren (Morde und Überfälle), zum anderen aber Bombenanschläge, die eindeutig als Botschaft an die Naziszene gedacht waren. Ironie der Geschichte: Das Nagelbombenattentat in Köln mit zahlreichen Verletzten hatten die Ermittler nie als Naziterror in Betracht gezogen, sondern als kriminelle Auseinandersetzung innerhalb der türkischen Szene. Dadurch sei die Signalwirkung an die Rechtsradikalen konterkariert worden.

Ralf Wohlleben und Beate Zschäpe haben sich inzwischen geäußert. Demnach habe sich Wohlleben nur auf gewaltlose Weise betätigt, sei in der Szene gar als „Friedenstaube Wohlleben“ geschmäht worden. Zschäpe, die sich nur schriftlich über ihre Anwälte äußert, räumt zwar alle Verbrechen ein, will aber von den Morden erst erfahren haben, als Mundlos und Böhnhardt sich ihr offenbart hätten.

Zschäpe hat nach Hoffmanns Einschätzung trotzdem keine Chance. „Die kommt frühestens in 22 oder 23 Jahren wieder raus“, schätzt der Jurist.

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