Nürnberger Prozesse: Das Press Camp im Steiner Schloss

22.11.2020, 16:00 Uhr
Nürnberger Prozesse: Das Press Camp im Steiner Schloss

© Foto: National Archives

Um die "Stunde Null" und die damit verbundene Atmosphäre zu dokumentieren, reisten Berichterstatter aus aller Welt nach Nürnberg. Unterkunft fanden sie dabei im Schloss der Familie Faber-Castell in Stein, das von Bombenschäden verschont geblieben war. Bereits im Oktober 1945 erschienen die ersten Reporter und Reporterinnen in Stein. Einige reisten bald wieder ab, andere blieben hier bis zur Urteilsverkündung im Oktober 1946 oder bis zum Ende der Nachfolgeprozesse im April 1949.

Beziehungen wurden geknüpft

Die Amerikaner hatten das Schloss beschlagnahmt und zum Press Camp umfunktioniert. Während die Prozesse gegen die Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg voranschritten, wurden in den Gemäuern des Schlosses internationale Beziehungen geknüpft.

Bis zu 100 männliche Berichterstatter waren im Schloss untergebracht, arbeiteten, speisten und schliefen dort. Die bekanntesten darunter waren die im Exil lebenden Deutschen Alfred Döblin, Willy Brandt, Erich Kästner und Markus Wolf. Auch John dos Passos und der spätere US-Starreporter Walter Cronkite waren zu Gast in Stein sowie einige sowjetische Reporter, Boris Polewoi oder der Karikaturist Nikolai Shukow.

Gobelinsaal als Großraumbüro

Etliche Räume wurden für diesen Zweck umgebaut: Aus dem großen repräsentativen Gobelinsaal wurde ein Großraumbüro mit zahlreichen Schreibtischen, im Salon der Gräfin reihten sich Bettgestelle aneinander. Die sanitären Anlagen reichten für die Zahl der Berichterstatter bei weitem nicht aus.

Nürnberger Prozesse: Das Press Camp im Steiner Schloss

© Foto: A.W. Faber-Castell

Die Journalistinnen, darunter Erika Mann, Rebecca West, Nora Waln und Martha Gellhorn, bewohnten die von Lothar von Faber erbaute Villa neben dem Schloss. Hier waren auch Ehepaare untergebracht, die die Prozesse von der Pressetribüne aus verfolgten. Auch in der Villa war die Enge groß, die mangelnde Privatsphäre wurde beklagt.

Dennoch erinnerten sich zahlreiche Berichterstatter gerne an die internationale Atmosphäre, die Nächte an der Party-Bar, Gespräche im Wintergarten oder Spaziergänge durch den Faberpark. Sogar Hollywoodfilme gab es zu sehen, denn im ehemaligen Marstall hatten die Amerikaner ein Kino eingerichtet, ein Privileg, das besonders die sowjetischen Medienvertreter genossen.

Im Empfangssalon des Schlosses wurde 1948 die Hochzeit von Ray D’Addario und der Dolmetscherin Margarete Borufka gefeiert. Der amerikanische Armeefotograf hielt in seinen Bildern nicht nur die Nürnberger Prozesse, sondern auch das Leben im Press Camp und die zerstörte Stadt Nürnberg fest.

Anlässlich der 75. Wiederkehr der Nürnberger Prozesse hat Faber-Castell eine multimediale Ausstellung zum Thema "Press Camp" im Schloss zusammengestellt. Wegen der Corona-Pandemie wird die Tour allerdings voraussichtlich erst ab Frühjahr 2021 buchbar sein.

Die zirka eineinhalbstündige Führung durch die historischen Räumlichkeiten illustriert das Leben im Press Camp mit Bild- und Texttafeln, eine inszenierte Geräuschkulisse macht die Arbeit und das Zusammentreffen der internationalen Journalistinnen und Journalisten für Besucher akustisch erlebbar.

Interviews an Schauplätzen

Im Medienraum des Schlosses wird außerdem der Dokumentarfilm des Münchener Filmemachers Reiner Holzemer vorgeführt. Er zeigt Interviews am Originalschauplatz mit dem Fotografen Ray D’Addario (1993), der Übersetzerin Simone Herbulot (2002) sowie dem damaligen Journalisten und späteren Leiter des Auslands-Nachrichtendienstes der DDR, Markus Wolf (2002).


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Die multimediale Präsentation des Press Camps am historischen Ort im Graf von Faber-Castell’schen Schloss wird über öffentliche Sammeltermine und bei Gruppenführungen zugänglich sein.

Weitere Informationen über www.since1761.com/faber-castell-erleben, Voranmeldung erforderlich via erlebnismeile@faber-castell.de

 

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