O wie Olli

23.8.2012, 09:00 Uhr
O wie Olli

© Pfeiffer

Olli wackelt vor Stolz hin und her. „Ich kann sogar meinen Hinternamen schreiben“, kräht der Sechsjährige. O-L-I-V-E-R malt er zügig aufs Blatt, aber bei Morawski geraten dann doch ein paar Buchstaben durcheinander. Nach den Sommerferien wird er – wie auch Paul, 6, und David, 7 – in die Schule gehen. Jetzt zeigen die Jungen, was sie können. „Bei mir fängt’s mit P“ an, sagt Paul und schaut konzentriert auf seine Hand und das Papier. Es müssen ja nicht nur die Buchstaben vollzählig und in der richtigen Reihenfolge geschrieben werden, sie sollen auch gleich groß sein und auf einer Linie stehen. Schwerarbeit fürs Gehirn, das Wissen und Feinmotorik koordinieren muss und dabei ständig das Ergebnis prüft und gegebenenfalls korrigiert.

Die Schwester hilft

David, dem die Eltern noch ein unbeschwertes Kindergartenjahr gegönnt haben, kann sogar schon Roller, Blume, Baum und Fisch schreiben. Seine achtjährige Schwester geht in die Schule: „Die lernt mir schon was!“ Die Vorschulkinder sind wissbegierig und eifrig, das Schreiben ist eine begehrte Fertigkeit. „Da können wir Sachen machen, wo die kleinen Kinder nicht können“, sagt Olli und grinst überlegen. 144 Mädchen und Jungen teilen sich in der Badstraße in sieben Gruppen, in jeder finden sich Kinder zwischen zweieinhalb und sieben Jahren.

Die Sonnenblumenkinder beginnen früh mit dem Lesen- und Schreibenlernen. Nicht gezwungen, sondern spielerisch. In jedem neuen Jahr werden die Kinder jeder Gruppe fotografiert, ihre Namen im Computer dazugesetzt – wer kann, tippt selbst –, dann wird alles ausgedruckt und laminiert. Oft schauen die Kleinen den Großen dabei über die Schulter oder lassen sich von ihnen helfen. „Es gibt ein natürliches Bedürfnis, lesen und schreiben zu lernen“, sagt Erzieherin Gülcan Kozan. Weil in unserer Umwelt die Schrift allgegenwärtig ist, angefangen beim M für McDonalds bis zu den Schriftzügen von Lego und Playmobil.

„Das A und O dafür ist die Sprache“, erklärt Gülcan Kozan. Das Sprechen üben die Kinder beim Montagskreis, wenn jedes vom Wochenende erzählt. Sie schauen Bilderbücher an und freuen sich auf die Besuche von Max, dem Vorleser. Und sie singen und reimen mit den Erzieherinnen, auf Deutsch natürlich.

„Da kommt das große Krokodil, das den Kasper fressen will“, beginnt Olli. Sein Daumen und die Finger klappen im Rhythmus wie ein Maul, nur die gefährlichen Zähne fehlen. Sechs, acht Zeilen hat das Fingerspiel und ein Happy End: „Das Krokodil schaut hin und her, findet aber keinen Kasper mehr.“ Hinhören und merken gehen in eins, auch das phonologische Bewusstsein wird gestärkt. Was reimt sich? „Schal, Wal“, sagt David, „Tor, Rohr. Haus, Maus.“ Olli fällt gleich „Reim, Heim, Keim“ ein und sogar der schüchterne Paul beteiligt sich. „Schaum, Baum, Raum.“

Zwischen viereinhalb und fünf Jahren beginnen Kinder, ihren Namen schreiben zu wollen. Dazu brauchen sie das Alphabet. Nach heutigem Standard wird es nicht mehr über Aussprache – also be wie b – gelernt, sondern über Worte. A wie Apfel, B wie Baum und so fort. Beim S wird es dann schwierig: S wie Socke oder See, S wie Spielen oder S wie Stuhl? Vom Sch mal ganz abgesehen.

Mindestens einmal pro Woche haben die 50 großen Kinder Vorschulerziehung. Die Kinder ausländischer Eltern besuchen zudem zweimal pro Woche den Vorkurs an der Rosenschule. Alle üben 45 Minuten lang das Stillsitzen, sie malen, schreiben und zählen. Die Zahlen von eins bis zehn müssen sie beim Schulanfang beherrschen, die meisten sind bis 20 sicher und einige kommen bis 50. Ein Mädchen in ihrer Gruppe könne sogar richtig lesen, berichtet Gülsan Kozan: „Die Kinder bereiten sich seelisch und moralisch darauf vor, dass sie in die Schule gehen.“

Olli, Paul und David greifen beim Schreiben noch zu Buntstiften. „Wann braucht man den Füller?“, fragt die Erzieherin. „Wenn man in die Schule geht“, antworten die Jungen unisono. Bald ist es so weit. Ob ihnen Schreiben dann noch so viel Spaß machen wird? Erstklässler beginnen mit der Bayerischen Druckschrift, dann folgt verbindlich die „Vereinfachte Ausgangsschrift“: Die Buchstaben sind in sich geschlossen und miteinander verbunden, O und A wirken nahezu rund, das M buckelig und das T steif und steil. Höhe und Lage von Ansatzpunkten, Verbindungsbögen und sogar die Querstriche sind vorgeschrieben. Bis zur vierten Klasse, so heißt es im Lehrplan des Freistaats, sollen die Kinder eine „persönliche Handschrift mit individuellen, schreibökonomischen Vereinfachungen“ entwickelt haben. Auch für ihren Namen.

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