Organspende-Pläne: Das sagen fränkische Experten

15.1.2020, 19:45 Uhr
Organspende-Pläne: Das sagen fränkische Experten

© Foto: Marie Reichenbach/dpa

Wie oft ist das Fürther Klinikum mit dem Thema Organspende konfrontiert?

Nur ganz selten fügen sich die Dinge so, dass der Tod eines Menschen die Rettung eines anderen bedeutet. Damit man in Deutschland zum Organspender werden kann, muss der Hirntod eingetreten sein, während das Herz weiter schlägt, die Organe durchblutet werden und die Atmung etwa auf der Intensivstation künstlich aufrechterhalten wird.

Patienten mit einem Schädelhirntrauma oder einer schweren Hirnblutung werden meist in Kliniken mit neurochirurgischen Abteilungen eingeliefert – solche Krankenhäuser sind deshalb häufiger mit dem Thema konfrontiert als das Fürther Klinikum. Immer wieder aber stellt sich auch hier die Frage, ob jemand als Organspender infrage kommt. Zwei bis fünf Fälle im Jahr gibt es hier, sagt Dr. Holger Fey, Oberarzt der internistischen Intensivstation und Transplantationsbeauftragter des Klinikums.

Wie oft werden Organspenden abgelehnt?

Feys Erfahrung nach wird eine Spende oft verneint, weil es der Verstorbene zu Lebzeiten so bekundet hat oder weil Angehörige es so entscheiden. Bisher ist dies möglich. Vier Ablehnungen habe es bei den letzten fünf Fällen gegeben. Dass Umfragen zufolge 80 Prozent der Deutschen Organspende befürworten, decke sich nicht mit seiner Erfahrung, sagt Fey.

 

 

 

Weil die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) manchmal von Kliniken gar nicht informiert werde, seien zudem die offiziellen Zahlen zu Ablehnungen wohl zu niedrig, meint er. Die DSO verzeichnete 2018 bundesweit insgesamt 2811 Fälle, in denen überhaupt die Frage aufkam, ob eine Organspende möglich wäre. In 498 dieser Fälle wurde eine Spende von vornherein vom Patienten oder seinen Angehörigen ausgeschlossen, in anderen Fällen sprachen medizinische Gründe dagegen. 1416 Patienten wurden schließlich als potenzielle Organspender eingestuft. Bei 340 von ihnen gab es am Ende keine Zustimmung der Angehörigen, 955 wurden zu Organspendern. Im Schnitt wurden von jedem Spender 3,3 Organe entnommen und transplantiert.

Über welche Gesetzesentwürfe wird abgestimmt?

Die doppelte Widerspruchslösung: Der Gesetzesentwurf, für den Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach werben, sieht vor, dass jeder - im Fall des Hirntods - als potenzieller Spender gilt, der nicht seinen Widerspruch dokumentiert oder gegenüber Angehörigen erklärt hat.

(Zu den Gesetzesentwürfen geht es hier.)

Gesetzentwurf mit Zustimmungslösung: Der zweite Vorschlag, ausgearbeitet von einer Gruppe um Grünen-Chefin Annalena Baerbock, zielt darauf ab, die Menschen besser aufzuklären und zu einer bewussten Entscheidung zu ermutigen. Sie sollen ihr Ja oder Nein etwa in einer Online-Datenbank einfach festhalten und jederzeit ändern können.

Was kritisieren die beiden Experten an der Widerspruchslösung?

Mediziner Fey bezweifelt, dass sich die Zahl der Organspenden damit deutlich erhöhen ließe. Zudem hielte er es für problematisch, wenn die Einschätzung von Angehörigen nichts mehr zählt. Er denkt dabei etwa an eine Mutter, die ihren 30-jährigen Sohn verlor und eine Organspende ablehnte. "Wollen Sie der Frau erklären, rein rechtlich dürfen wir die Organe entnehmen – er hat ja nicht widersprochen?" Fey fragt sich: Werden Unentschlossene übereilt ihr Veto festlegen? Angehörige zur Lüge greifen?

Auch der in Fürth lebende Ethik-Professor Peter Dabrock glaubt, dass die Widerspruchslösung "der guten Sache mehr schadet als nützt". Dabrock, der Vorsitzender des Deutschen Ethikrats ist, spricht dabei für sich persönlich – im Ethikrat gehen die Meinungen zum Thema auseinander.


Vor Organspende-Entscheidung: Es zählt nur das Gewissen


Bei dieser wichtigen Frage, die Leben und Tod berührt, müsse man sich eine Einwilligung holen, findet Dabrock, dürfe Schweigen nicht als Zustimmung gelten. Die Organspende sollte weiter den Charakter einer bewussten "Gabe" haben. Der Theologe kritisiert zudem, dass der falsche Eindruck erweckt werde, mit der Widerspruchslösung stünden plötzlich ganz viele Spender zur Verfügung. Er verweist auf die Zahlen der DSO. Die Widerspruchslösung hätte 2018 theoretisch nur den "Zugriff" auf 217 zusätzliche Organspender ermöglicht, sagt er. So viele Fälle gab es, bei denen Angehörige die ablehnende Haltung des potenziellen Spenders nur vermuteten oder selbst ein Veto einlegten.

Was sagen Befürworter der Widerspruchslösung?

Befürworter dieser Variante, wie etwa die Bundesärztekammer (BÄK) oder die Deutsche Stiftung Organtransplantation, betonen, dass die Regelung niemanden dazu zwinge, Organe zu spenden. Sie nehme, so die BÄK, die Menschen aber in die Pflicht, sich für oder gegen eine Organspende zu entscheiden - was angesichts der knapp 10.000 schwer kranken Menschen auf der Warteliste zumutbar sei.

Axel Rupprich, Einsatzleiter beim Fürther BRK, glaubt, dass erst die Widerspruchslösung dazu führen würde, dass sich viele mit dem Thema beschäftigen: "Solange man nichts machen muss, machen viele auch nichts – wir merken das zum Beispiel bei Patientenverfügungen, die leider oft nicht vorhanden sind." Rupprich weiß, was ein Ja zur Organspende bedeuten kann: Einer seiner Kollegen starb an einer Hirnblutung – mit seinen Organen konnte sieben Menschen geholfen werden.

Wie kann die Zahl der Organspenden erhöht werden?

Fey und Dabrock sehen auf anderer Ebene Handlungsbedarf: Die Strukturen des Transplantationssystems müssten verbessert werden, sagen beide. Das medizinische Personal müsste besser geschult werden, um zuverlässig Fälle zu erkennen, in denen eine Spende möglich ist, so Fey. Und Ärzte, die sich in dem Bereich engagieren, bräuchten mehr Zeit.


Abstimmung über Organspende wird knappes Rennen


Dass in anderen Ländern die Spenderzahlen viel höher sind, habe mehrere Ursachen. In Spanien seien Ärzte diesbezüglich besser ausgebildet, so Fey, auch die Spendenkultur eine andere. Und dort, gibt er zu bedenken, sind Organspenden auch nach dem Herztod möglich. Zumindest die Diskussion darüber müsste man hierzulande anfangen, meint er.

Für Dabrock, der selbst einen Spenderausweis hat, steht fest: "Ein Kulturwandel dahin, dass Organspende jedem eine Herzensangelegenheit wird, ist nötig. Aber das gelingt nur, wenn man Vertrauen aufbaut."

 

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