Parömiologische Fiktion

16.10.2012, 09:00 Uhr
Parömiologische Fiktion

© Scherer

Kunigunde Glattner war eine geborene Deinzer aus Artelshofen, und zwar im links der Pegnitz gelegenen oberen Dorf. Sie hatte hinauf nach Hartenstein geheiratet, den Sohn des Wirts vom „Goldenen Lamm“, wo sie nun fleißig und fröhlich ihren vielfältigen Pflichten nachging: Hausfrau, Mutter, Köchin – und Wirtin in Personalunion. Hartenstein war 1661 per Dekret endgültig katholisch geworden, und die evangelisch getaufte Kuni hatte vor der kirchlichen Trauung eine eidesstattliche Erklärung unterzeichnen müssen, bei der religiösen Erziehung der Kinder, die aus der Verbindung hervorgehen würden, der Konfession ihres Mannes absoluten Vorrang zu gewähren. Kuni fügte sich, da sie keine Fanatikerin war, und überhaupt gebot es die damalige Zeit einer Frau, auf eine selbstständige Anschauung zu verzichten. Dass Kuni den Hartensteiner Pfarrer, einen hackstockförmig gebauten, aufgeschwemmten und mit einer leuchtend roten Nase versehenen Phlegmatiker, für eine lächerliche Gestalt hielt, verriet sie niemandem außer ihrem Ehemann.

Die genauen Umstände weiß niemand mehr, aber man sagt nichts Falsches, wenn man behauptet, die Begebenheit, von der wir berichten, hätte sich irgendwann in den knapp 150 Jahren zwischen dem Ende des Dreißigjährigen Krieges und der Französischen Revolution zugetragen. Da saßen also eines Sonntagabends als letzte Gäste der Pfarrer und der Landvogt Gebhard, ein Hagestolz und gefürchteter Spötter, in der Wirtsstube, ein jeder an seinem eigenen Tisch, während Kuni auf der Ofenbank hockte und strickte.

Von Zeit zu Zeit, wenn einer der Honoratioren den zinnernen Bierdeckel demonstrativ laut auf den leeren Krug klappte, stand sie auf und zapfte ein weiteres Bier. Derweil träumte sie vor sich hin, schläfrig von der wohligen Wärme der Kacheln an ihrem Rücken und lauschte kaum mit halbem Ohr der so träge wie die Pegnitz unten im Tal bei Rupprechtstegen dahinplätschernden Unterhaltung der beiden Studierten.

In der warmen Stube roch es nach Wolle und dem würzigen Rauch aus den langstieligen Pfeifen der alten Herren, ab und zu knackte ein Scheit im Ofen, und Kuni musste kurz eingenickt sein, denn sie fuhr erschreckt auf, als des Pfarrers tiefe Stimme plötzlich anhub und ungewöhnlich laut verkündete: „Ich sagte, mir scheine, der Fisch stünke vom Kopf!“

„Ah! Ah so. So, so“, brummelte der Landvogt, und erneut senkte sich friedliches Schweigen über die dämmrige Stube.

Das Wort des Pfarrers, dessen Aussprache von Haus aus undeutlich war, als sei er permanent verschnupft, galt etwas in der Gemeinde. Und Kuni nahm daher für bare Münze, was sie gehört hatte, obwohl sie keinerlei Sinn darin entdecken konnte, so sehr sie sich auch ihren hübschen Kopf zerbrach.

Als sie später ins Bett kroch und sich an ihren Mann schmiegte, der schon schlief, konnte sie dem Drang nicht widerstehen und roch gründlich an dessen Gesicht und Haaren. Josef Glattner erwachte und fragte, welche Flausen sie nun wieder im Kopf habe, dass sie mitten in der Nacht an ihm herumschnüffelte. Worauf Kuni von dem Ausspruch des Pfarrers berichtete, und dass sie sich davon überzeugen wolle, dass sein, Josefs, Haupt nicht ebenso stinke wie das des französischen Gastarbeiters.

Der Wirt lachte, schalt Kuni ein dummes Kälbchen und schlief selig weiter.

Anderntags machte Kunis nächtliche Erkundigung die Runde, da Josef sie zur Belustigung seiner Gäste zum Besten gab. Dem Pfarrer galt der Spott der reisenden Händler und Knechte, die mittags Durst und Hunger im „Goldenen Lamm“ zu stillen pflegten, und überhaupt allen Studierten und Kopfgesteuerten, die jenen, welche ihre fünf Sinne getreulich beieinander hatten, schon immer suspekt vorkamen.

Kunis Urheberschaft wurde freilich rasch vergessen, während dem Wort bald Flügel wuchsen, die es hinaus trugen ins Nürnberger Land, weiter nach Bamberg, Ansbach und Fürth, und schließlich in die weite Welt jenseits der Gefilde zwischen Pegnitz und Regnitz. Nicht lange und es hieß, in leichter Abwandlung des ursprünglichen Ausspruchs, der Fisch stinke zuerst vom Kopf, was der lebensmittelchemischen Tatsache Rechnung trug, dass die inneren Organe des Fisches, die zumeist nahe hinter dem Kopf beheimatet sind, typischer Weise zuerst sich anschicken, in das Stadium der Verwesung überzugehen. Unbewusst mag Kuni, die schließlich Herrin einer großen Küche war, diese Bedeutung sogar durch den Sinn gegangen sein.

Weshalb jedoch hatte sie am Kopf ihres Gatten gerochen, der doch definitiv keine Kiemen besaß? Und was hatte der Pfarrer in Wahrheit sagen wollen?

Wie so oft ist die Erklärung verblüffend einfach: Ein französischer Orgelbauergeselle namens Françoise Fiche war damals in Hartenstein, und zwar im Gasthaus „Zum Hirschen“ abgestiegen, um sich der dringend erforderlichen Reparatur der Orgel von St. Trinitas zu widmen. Und von diesem Franzosen war die Rede gewesen, der nicht nur jeden Abend von Kuni mit Schwarzbrot, Hirnwurst und säuerlichem Frankenwein bewirtet wurde, sondern sich vor allem als sehr unruhiger Geist erwiesen und die Orgel komplett zerlegt hatte, um sich wie ein Derwisch scheinbar an allen Einzelteilen gleichzeitig schaffen zu machen. Er, der Fiche, stünde schon Kopf, hatte die Aussage in Wirklichkeit gelautet, und Kuni hatte sich, des Pfarrers gequetschter Aussprache und ihrer eigenen Schläfrigkeit geschuldet, schlicht verhört.

Der Fiche jedenfalls vollendete, nicht wissend von seinem ungewollten Eingang ins Reich der Redensarten, sein Werk zu allseitiger Zufriedenheit, insbesondere des ebenfalls ahnungslosen Pfarrers, und reiste zurück nach Frankreich. Von seinem weiteren Schicksal ist keine Kenntnis überliefert. Wie jedoch ein jeder weiß, beginnen bis zum heutigen Tage Fische zu stinken, wenn sie sich zu lange auf dem festen Land aufhalten und ungenießbar werden. Der zugehörige Sinnspruch allerdings entstand im Zusammenspiel des biergefüllten Bauches eines Pfarrers mit dem Kopf einer schlaftrunkenen Wirtin.



 

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