Personalprobleme

22.4.2014, 10:23 Uhr
Kenner der heimischen Tierwelt: Ewald Arenz.

© Thomas Scherer Kenner der heimischen Tierwelt: Ewald Arenz.

Der Personalchef der Firma Natale & Pasqua Ltd. sah auf die Uhr und seufzte. Es war schon halb vier, und er war immer noch im Büro. Das Fenster stand offen. Für einen Ostersamstag war es wirklich ungewöhnlich warm. Eine Brise bewegte die etwas verstaubten Blätter der Büropalme, die er sich damals aus dem Heiligen Land mitgebracht hatte. Von draußen klang fröhliches Geschrei aus dem nahen Park herein. Ostersamstag. Und er saß im Büro!

Aber irgendjemand musste die Arbeit ja machen — es gab ja niemanden außer ihm. Er starrte auf den Bildschirm mit den Namenslisten. Der Lieferplan war das Allerschwierigste. Aber es hatte ja bisher auch geklappt, beruhigte er sich, bisher war er immer rechtzeitig vor dem Jahresabschluss fertig geworden. Er nippte an seiner Diätcola und streckte sich. Eine halbe Stunde noch. Und dann durch den Frühlingsabend nach Hause gehen. Er lächelte verträumt. Das war der Augenblick, in dem das Telefon klingelte, und deswegen nahm er auch lächelnd ab. Die drei Worte, die er aus dem Hörer vernahm, führten allerdings dazu, dass dieses Lächeln so rasch erlosch, als sei es nie dagewesen.

„Was?“, brüllte der Personalchef entsetzt in den Hörer, „was?“

Die drei Worte am anderen Ende wurden wiederholt. Nicht sehr laut, extrem heiser, aber dennoch vernehmlich. Der Personalchef verstand trotzdem nicht.

„Was meinst du mit: Ich bin krank!?“, schrie er fassungslos, „du bist nie krank! Du warst noch nie krank!“

Ein letztes Mal wurde auf der anderen Seite der Satz wiederholt, diesmal allerdings von einem bösen Husten unterbrochen, was dem Personalchef diesmal die Zeit gab, die Hiobsbotschaft zu verstehen und außerordentlich missgelaunt zu werden.

„Dreihundertvierundsechzig Tage“, knirschte er wütend ins Telefon, „dreihundertvierundsechzig Tage hast du frei. Und an dem einzigen Tag, an dem ich dich brauche, meldest du dich krank? Bist du bescheuert? Hast du eine Ahnung, was du anrichtest? Wie soll ich...“

Er wurde unterbrochen. Die heisere Stimme am anderen Ende krächzte lang und beschwörend, erläuterte in farbigen Bildern die Schwere der Krankheit sowie die extreme Infektionsgefahr und kam dann zum alles entscheidenden Punkt. „Was meinst du mit: Du hast was organisiert?“, fragte der Personalchef, noch immer zwischen Panik und Wut schwankend, „was für ein Stellvertreter? Der kennt doch die Strecke gar nicht! Und was ist mit den Eiern?“

Die Stimme am anderen Ende, fiebrig erregt und immer heiserer, versprach, dass sie sich um alles gekümmert hätte, dass der Stellvertreter in zehn Minuten da sei und dass alles gut würde. Dann versagte die Stimme und alles, was der Personalchef noch hörte, war schweres Atmen. Da legte er resigniert auf.

Zehn Minuten später war der

Stellvertreter da. Der Personalchef, der eben auf der Toilette gewesen war, schrak bei seinem Anblick so zusammen, dass er die Palme um-

stieß.

„O mein Gott!“, schrie er, „wer sind Sie denn?“

„Der Ersatz“, sagte der Ersatz. Der Personalchef hielt sich am Türrahmen fest, als er verzweifelt sagte: „Aber Sie sind ein verdammtes Zebra!“

„Na und?“, kam die gereizte Antwort, „verklagen Sie mich! Ja. Ein Zebra. Und? Was haben Sie denn erwartet?“ Der Personalchef wankte hinter seinen Schreibtisch, fiel schwer in seinen Sessel und stützte den Kopf in die Hände, als er wiederholte: „Oh ja. Was habe ich denn erwartet? Vermutlich darf ich noch froh sein, dass Sie ein Säugetier sind. Aber um Gottes Willen“, bäumte er sich noch einmal gegen sein Schicksal auf, „ein Zebra! Warum kein Hund? Eine Katze? Irgendwas, das einem Hasen wenigstens entfernt ähnlich sieht!“

„Ach“, meinte das Zebra jetzt richtig beleidigt, „haben Sie ein Problem mit meiner afrikanischen Abstammung? Ich bin voll integriert! Meine Familie lebt seit vier Generationen im Nürnberger Zoo, und ich kann Ihnen sagen: Die deutschen Osterbräuche sind mir von Grund auf vertraut.“

Der Personalchef fühlte sich so sehr müde, als er schwach sagte: „Es sind mehr die...unorthodoxen Streifen. Ich bin mir nicht sicher, ob die vom Muster her zu den bunten Eiern passen.“

Das Zebra kicherte: „Ich liefere ja nicht an die russisch-orthodoxen Kinder aus, nur an die evangelisch-katholischen.“ „Noch so ein Kalauer“, knurrte der nunmehr am Ende seiner Geduld angekommene Personalchef, „und Ostern fällt dieses Jahr aus.“

Er reichte dem Zebra einen Stoß Papier. „Hier ist die Liste der Kinder. Gehen Sie über den Hof zum Lager, lassen Sie sich den Korb anpassen und holen Sie die Eier. Und gnade Ihnen Gott, wenn Sie den Job versauen.“

Das Zebra erhob sich etwas schwerfällig aus dem niedrigen Ledersessel, nickte aber selbstbewusst und verließ das Büro. Gegen Mitternacht war dann der Eierkorb dem fülligen Bauch des Zebras angepasst und gefüllt worden, und das Osterzebra konnte sich auf den Weg machen, um seine Liste abzuarbeiten.

Obwohl das Zebra sich alle Mühe gab, so ist im Gegensatz zu einem Hasen der Anblick eines Zebras in der mitteleuropäischen Frühlingsfauna eher selten. Da half auch der vertraute Korb mit den bunt gefärbten Eiern nicht, der wild auf dem durch den Stadtpark trabenden Zebra herumhüpfte und auftragsgemäß Eier verstreute. Auch war dem Zebra die Route eben doch nicht so vertraut, und so kam es auf dem Frankenschnellweg am Ostermorgen zu einem spektakulären Auffahrunfall und einem acht Kilometer langen Stau. Der verursachende Lkw-Fahrer wurde vorübergehend in eine Ausnüchterungszelle gebracht, weil er nicht von seiner Darstellung abwich, ein kreuzendes Osterzebra hätte ihn zur Vollbremsung gezwungen.

Im Hof der freichristlichen Gemeinde Nürnbergs verursachte ein aus dem Nichts kommendes Zebra, das in elegantem Sprung über das Osterfeuer hinwegsegelte, eine tiefe Glaubenskrise bei den anwesenden Kindern, gegen die weder ein schnelles Notgebet noch die mittlerweile restlos zermatschten Eier halfen, die nach dem Zebra herabregneten. Und weil das Zebra mittlerweile zeitlich so sehr im Verzug war, dass es gehetzt eine Kurve in der sonntäglich stillen Fußgängerzone falsch einschätzte, knallte es durch das Schaufenster eines Schokoladengeschäfts, schlitterte über den Boden und riss ein Regal mit Ostersachen um. Da hatte es genug.

„Der Hase kann mich!“, brüllte es wiehernd, kam auf die Beine und galoppierte zurück in den Tiergarten. Weil sich allerdings im Schokoladenladen der Korb durch das umstürzende Regal auf wunderbare Weise gefüllt hatte, kam es in diesem Jahr ausnahmsweise mal im Tiergarten zu einer völlig unerwarteten Osterbescherung.

„Zebras“, sagte ein Erdmännchen mit schokoladeverschmiertem Mund, während es eine Pfote voll Alupapier zusammenknüllte und achtlos auf den Weg warf, „sind cooler, als ich dachte.“

Das andere Erdmännchen stieß zierlich auf und nickte nachdenklich, als es antwortete: „Ja. Womöglich haben wir den Hasen immer überschätzt.“

Dann gingen beide noch ein paar Eier suchen.


 

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