Quälende Erinnerung

8.2.2012, 13:00 Uhr
Quälende Erinnerung

© Hans-Joachim Winckler

Rudolf Benario und Ernst Goldmann gehörten zu den ersten Opfern der Nationsozialisten, zu den ersten ermordeten Juden im Dachauer Lager. Am 10. März 1933 wurden sie in Fürth von der SA verhaftet. Über die Festnahme Benarios berichtete der „Fürther Anzeiger“: Der „...sattsam bekannte kommunistische Winsler und Jude Benario wurde in Schutzhaft genommen“. Der Tod der beiden Männer nur  einen Monat später wurde ebenfalls vermeldet: Sie seien „auf der Flucht erschossen“ worden. Natürlich war es anders.

Warum aber waren gerade diese beiden jungen Männer (beide Jahrgang 1908) unter den ersten Opfern in diesem KZ? Warum mussten sie am Anfang einer schier endlosen Liste mit Toten stehen? In Dachau kamen in den zwölf Jahren knapp 32000 Häftlinge ums Leben, insgesamt 206000 Menschen lieferten die Nazis in das Lager ein; als das KZ 1945 befreit wurde, befanden sich in den katastrophal überfüllten Baracken mehr als 30000 abgemagerte Überlebende aus 31 Nationen und noch einmal ebenso viele Gefangene in den zu Dachau gehörenden Außenlagern.

Rudolf Benario und Ernst Goldmann waren in Fürth aktive Mitglieder in der „Kommunistischen Jugend Deutschlands“. Mitkämpfer aus der damaligen Zeit erinnern sich an die beiden als engagierte Nazi-Gegner, die bis zuletzt versuchten, vor allen Dingen Arbeiter über das drohende Unheil aufzuklären. Mit Arbeitslosen diskutierten sie unaufhörlich. Ihr weniges Geld verwendeten sie, um Flugblätter herzustellen.

Besonders Benario soll auch die Entmutigten in den eigenen Reihen immer wieder aufgebaut haben. Wurden die Mahnungen des jungen Doktors der Jurisprudenz auch in der Bevölkerung nur spärlich beachtet — die Nationalsozialisten in Fürth hatten auf ihn und ihre anderen Gegner längst ein Auge geworfen.

Willi Gesell, Funktionär der KPD in Nürnberg, hat einen Bericht über die Geschehnisse der Tage im April 1933 in seinem Buch „Das andere Nürnberg“ abgegeben. Demnach waren Benario und Goldmann unter den Männern, die am 11. April mit dem ersten Transport Nürnberg-Fürther Gefangener nach Dachau gebracht wurden.

Gesell schreibt: „(Wir wurden) auf einen LKW der Landespolizei verladen. Das ging ohne Zwischenfälle. Die Begleitmannschaft erklärte uns, dass wir in das Konzentrationslager Dachau eingeliefert würden. Das schreckte uns nicht, denn wir hatten bis zu dieser Zeit über das KZ Dachau noch nichts gehört. Wir waren der erste Transport, der von Nürnberg nach Dachau ging.“

„Als wir in das Lager einfuhren“, schreibt Gesell weiter, „erhoben sich etwa 100 auf dem Boden herumlungernde Gestalten in grünem Drillich, mit Gewehren und Pistolen bewaffnet. Sie schlugen wahllos auf uns ein und forderten die Juden auf, herauszutreten. Diese wurden vor unseren Augen schwer misshandelt. Anschließend jagten sie uns im Trab ins eigentliche Lager.“

Nachts gegen drei Uhr wurden die Häftlinge geweckt. Vier betrunkene SS-Leute kamen unter Führung des berüchtigten Scharführers Steinbrenner in die Baracke und jagten mehrere Pistolenschüsse in die Stube. Die Männer mussten zum Zählappell draußen antreten und warten, bis sich die betrunkenen Nazis ausgetobt hatten.

Gesell wörtlich weiter: „Früh um sieben Uhr wurden die jüdischen Häftlinge Dr. Benario und Goldmann, zwei Jungkommunisten aus Fürth, und Arthur Kahn, ein Jungkommunist aus Nürnberg, herausgerufen und Steinbrenner, dem ich bei der Einlieferung wahrscheinlich unliebsam aufgefallen war, stellte mich zu den dreien. Wir mussten eine riesige Trage von Unrat schaufeln und zur Kiesgrube tragen. Nur unter größter Anstrengung konnten wir die Last heben und einige Meter schleppen. Dabei wurden wir ständig mit Schlägen angetrieben. Um 12 Uhr waren wir fertig.

Chronik der Ereignisse

Da kam der SS-Sturmführer Erbsmeier, der Adjutant des Lagerkommandanten Eicke, und holte die drei und einen weiteren jüdischen Häftling, Strauß aus München, aus der Baracke. Sie wurden von mehreren SS-Posten abgeführt. Kurz darauf heulten die Sirenen und wir mussten in die Baracken flüchten. Da hörten wir Gewehrschüsse — die Kameraden kamen nicht wieder. Am anderen Morgen sagte Scharführer Vogel, sie seien ,auf der Flucht erschossen worden‘.“

Warum aber musste es nach dem Krieg Jahrzehnte dauern, bis in Fürth an das Schicksal der beiden Männer erinnert werden konnte? Siegfried Imholz hat in einer Chronik den langen, verworrenen Weg, der dann endlich doch noch zu der Gedenktafel an der Uferpromenade führte, nachgezeichnet. Eine Spurensuche in eher peinlichem Terrain.

Demnach hatte sich 1983 der damalige Bürgermeister Heinrich Stranka (SPD) an das Stadtarchiv gewandt mit der Bitte, Informationen über das Schicksal von Benario und Goldmann in Erfahrung zu bringen. Die kurze Antwort aus dem Archiv: „Es ist praktisch aussichtslos, aufgrund unseres Materials Näheres über Dr. Rudolf Benario und Ernst Goldmann, die 1933 im KZ Dachau ,auf der Flucht erschossen wurden‘, herauszufinden.“ 50 Jahre nach den schrecklichen Ereignissen hielt man also die Lüge der Nazis noch immer für die Wahrheit, übernahm ungeniert die zynische Meldung aus alten Zeitungen.

Es gab aber, so Imholz, bereits 1983 „weit über 20 Quellen, Dokumente und Publikationen, die sich mit dem Mord an Goldmann und Benario befasst hatten (...) Selbst in den eigenen Beständen wäre man, hätte man genauer hingeschaut, fündig geworden: Im Stadtarchiv befinden sich die Arisierungsakten der Familie Goldmann, Zeitungsmeldungen über die Verhaftung und Meldekarten mit den Todesumständen und -daten. Man wollte sich, wie schon in den Jahren zuvor, nicht erinnern, und nahm die angeblich ,unzureichende Quellenlage‘ als Vorwand.“

Seit 2007 nun gibt es zumindest die Gedenktafel; eine Klasse der Hauptschule Soldnerstraße dokumentierte vor Jahren das Leben und Sterben der beiden Männer, der Infoladen „Benario“ ist seit einiger Zeit Treff– und Infopunkt für engagierte junge Antifaschisten der Stadt.

Die Geschichte der beiden Fürther Juden Benario und Goldmann aber ist leider ein Beispiel dafür, wie lange es auch in Fürth nach dem Krieg dauerte, bis eine wahrheitsgerechte Betrachtung der Vergangenheit möglich war.

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