Raus aus Hartz IV: Fürth dient als Vorbild

9.11.2018, 21:00 Uhr
Raus aus Hartz IV: Fürth dient als Vorbild

© Foto: Peter Kneffel/dpa

Wie holt man Familien aus der Langzeitarbeitslosigkeit? In den vergangenen Jahren hat man in Fürth und Nürnberg einiges über die schwierige Aufgabe lernen können. Beide Städte wurden 2010 – kurz nachdem die Quelle-Insolvenz Tausende in die Arbeitslosigkeit geworfen hatte – ausgewählt, um ein besonderes Modellprojekt zu erproben. Zehn Millionen Euro gab es dafür vom Freistaat.

"Tandem" und das parallel in Nürnberg laufende "Perspektiven für Familien" haben gezeigt, was entscheidend ist, um den Betroffenen zu helfen: Man hat hier nicht nur die Langzeitarbeitslosen im Blick – sondern vor allem auch deren Kinder. Mädchen und Jungen, die vielleicht noch nie gesehen haben, dass Papa oder Mama morgens das Haus verlässt, um zur Arbeit zu gehen. Die in einem Umfeld groß werden, in dem Anerkennung, Struktur und Zuversicht fehlen, in dem Eltern überfordert oder depressiv sind. Und in dem das Geld nicht vom Job, sondern vom Jobcenter kommt.

Der Ansatz: Damit kein Teufelskreis entsteht und Hartz IV auf die Kinder vererbt wird, müssen sie in ihrer Entwicklung gefördert werden. Sie brauchen Eltern, die sie als Vorbilder erleben. Die Suche nach einer Stelle ist also nur ein Teil der Lösung – mindestens genauso sehr geht es bei "Tandem" darum, die ganze Familie zu stabilisieren.

Jugendamt und Jobcenter arbeiten deshalb eng zusammen. Sie schauen, was den Familien gut tut: Den Kindern wird ermöglicht, in der Freizeit aktiv zu sein, manche lernen schwimmen, tanzen oder klettern, andere blühen bei Musik oder Kunst auf. Haben sie Schwierigkeiten in der Schule, bekommen sie rasch Nachhilfe. Zu sehen, dass ihre Kinder mit besseren Chancen aufwachsen, motiviert viele Eltern. Und auch sie selbst werden in vielerlei Hinsicht unterstützt: Je nach Bedarf besuchen sie etwa Deutsch-Kurse, Sport- oder Gesundheitsangebote, tanken bei einer Mutter-Kind-Kur Kraft, bekommen Rat in Sachen Erziehung oder Hilfe beim Organisieren der Kinderbetreuung.

Die Erfolge waren so gut, dass 2016 ein ganzheitlicher Ansatz in den Jobcentern bundesweit eingeführt wurde. "Früher hat man die Daten erfasst, die für die Arbeitssuche wichtig waren", sagt Horst Ohlsen, der in Fürth für "Tandem" verantwortlich ist. Jetzt sollen sich Jobcenter die Lebenssituation anschauen.

Dort fehlt jedoch die Zeit für eine derart intensive Betreuung, wie sie "Tandem" bietet. Projekte, die "Tandem" zum Vorbild haben, wurden deshalb in den vergangenen Jahren in verschiedenen Kommunen in Bayern, Sachsen und Brandenburg eingeführt.

In Nürnberg und Fürth lief die Förderung unterdessen 2016 aus. Die Kleeblattstadt hält dennoch weiter an dem Angebot fest – jüngst hat der Stadtrat sogar beschlossen, es unbefristet fortzuführen. Die "Fachstelle Tandem" ist inzwischen im Jugendamt angesiedelt, Jobcenter und Stadt teilen sich die Kosten. 226 000 Euro im Jahr sind dafür aus dem städtischen Haushalt nötig.

Das Geld sei gut eingesetzt, davon ist man im Jugendreferat überzeugt. 2017 etwa gelang es, von 69 erwerbsfähigen Teilnehmern 27 in eine Beschäftigung oder Qualifizierungsmaßnahme zu vermitteln. 15 dieser Teilnehmer (21,7 Prozent) nahmen eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit auf. Diese Quote sei sehr gut, sagt Ohlsen, höher als bei anderen Vermittlungsmaßnahmen. Eine Auswertung der ersten drei Jahrgänge habe zudem gezeigt, dass das Projekt nachwirkt. Nach drei Jahren lebte knapp die Hälfte der Teilnehmer ohne Hartz IV oder nur mit ergänzenden Leistungen.

Der Schlüssel zum Erfolg sei das vertrauensvolle Verhältnis, das zu den Familien aufgebaut werde. "Wir nehmen ihre Sorgen und Wünsche ernst", sagt Ohlsen. "Und wir erklären es, wenn mal etwas nicht klappt."

Keine Kommentare