Reisebegleiter auf einem steinigen Pfad

18.8.2008, 00:00 Uhr
Reisebegleiter auf einem steinigen Pfad

© Hans-Joachim Winckler

Herr Dr. Hanke, vor einem Jahr wurden Sie als erster Palliativmediziner der Region Fürth zugelassen. Gibt es inzwischen auch andere Ärzte in der Region, die den Titel haben?

Hanke: Seit einem Dreivierteljahr hat auch Dr. Leger die Zulassung. Er ist Schmerztherapeut.

Warum gibt es nur so wenige Ärzte, die diese Zusatzausbildung machen? Ist die Nachfrage nicht da?

Hanke: Die Nachfrage ist auf jeden Fall da. Aber den Ausbildungsweg gibt es noch nicht lange. Und es ist eben eine Ausbildung neben der Praxis.

Das heißt?

Hanke: Dass man insgesamt für fünf Wochen die Praxis schließen muss. Das Ganze läuft berufsbegleitend ab. Man muss an den Seminaren teilnehmen, man muss außerdem 25 Palliativfälle in Bayern dokumentiert haben. Dann noch die Prüfung und die Kosten für das Ganze - den Aufwand kann sich nicht jeder Arzt leisten.

Und was gab den Anstoß, diese Ausbildung einzuführen?

Hanke: Das hängt mit einem Wahlkampfversprechen von Angela Merkel zusammen. Sie wollte sich um Palliativmedizin bemühen. Schwerkranken Patienten sollte besondere Zuwendung auf Kosten der Krankenkassen ermöglicht werden.

Und im Zuge dieses Versprechens ist die Ausbildung entstanden?

Hanke: Ja. Die zuständigen Stellen haben die Situation zum Anlass genommen, die Ausbildung in die ärztliche Weiterbildungsordnung aufzunehmen.

Jetzt sind Sie seit einem Jahr in diesem Bereich tätig. Welche Erfahrungen haben Sie bisher damit gemacht?

Hanke: Ich habe mich nie überflüssig gefühlt. Viele - Krankenpfleger und Ärzte - waren in manchen Situationen verzweifelt. Sie wussten nicht mehr weiter . . .

Was heißt, sie wussten nicht mehr weiter? Was sind das für Situationen?

Hanke: Das Pflegepersonal stand oft vor Problemen, für die sie keine Lösung hatten. Zum Beispiel wenn man die Schmerzen einfach nicht mehr im Griff hatte. Wenn ein Patient über 24 Stunden oder länger erbrechen musste. Oder das Gleiche mit Verstopfung. Bei aufgeplatzten Wunden, bei Tumoren. Ich hatte eine Patientin, die fast nicht mehr Schlucken konnte, weil ihr ganzer Mundraum entzündet war. Ein Problem ist auch immer Müdigkeit.

Und Sie konnten jetzt auch in solchen Situationen helfen?

Hanke: In den Momenten konnte ich dann neue Möglichkeiten anbieten. Ich kann mit den Schmerzmitteln spielen. Und sie, individuell auf den Patienten abgestimmt, viel gezielter einsetzen.

Inwiefern hat sich Ihr Blick seit der Ausbildung verändert?

Hanke: Ich sehe jetzt viel öfter die Dinge, die hinter den Beschwerden stehen. Das sind viele psychosomatische Sachen, ungelöste Konflikte.

Wie hat sich Ihre Ausbildung herumgesprochen, wie wurde sie angenommen?

Hanke: Meine eigenen Patienten nutzen das Angebot nur, wenn sie selbst in die Situation kommen. Die Kenntnisse kann ich im Palliativ-Care-Team einbringen, oft werde ich auch vom Altenheim gerufen.

Das Palliativ-Care-Team - was ist das?

Hanke: Es ist quasi eine «schnelle Eingreiftruppe» für Betroffene, deren Beschwerden wie Schmerzen, Übelkeit und Schwäche unbeherrschbar scheinen. Mit mir und Dr. Leger sind wir zwei Palliativmediziner im Team. Außerdem dabei sind niedergelassene Kollegen, die sich im Bereich Palliativmedizin weiterbilden, und Palliativpflegekräfte. Wir haben die Verpflichtung zu einer 24-Stunden- und 365-Tagesbereitschaft.

Wie sieht denn die Arbeit dieses Palliativ-Care-Teams aus? Wie viele Einsätze haben Sie?

Hanke: In sechs Monaten hatten wir 42 Patienten. Das ist eine Menge. Wenn man bedenkt: In Fürth und Land sterben pro Jahr 2200 Personen. Von diesen haben zehn Prozent Beschwerden, die palliativmedizinisch angegangen werden müssen.

Immer schwerkranke, sterbende Menschen sehen - wie geht man damit um? Wie kann man da stark bleiben?

Hanke: Es ist sehr belastend. Man braucht wirklich eine starke mentale Kraft, um das alles verarbeiten zu können. Man muss das auch irgendwie ausgleichen, ein Gleichgewicht finden. Ich zum Beispiel mache das über Meditation und Kulturarbeit.

Und gelingt es immer, die Distanz zum Patienten zu wahren?

Hanke: Den Weg als Reisebegleiter geht man mit dem Patienten. Da kann man keine Distanz wahren. Das Problem liegt dann nicht bei dem, der stirbt. Für ihn ist alles vorbei. Das Problem liegt bei den Hinterbliebenen. Bei den Angehörigen und bei den Ärzten. Die müssen damit umgehen können.

Ist das, was Sie machen, Sterbehilfe?

Hanke: Nein. Was wir wollen, ist ein gutes, versöhnliches Sterben fernab von Sterbehilfe. Wir führen den Tod nicht herbei. Aber wir wollen den Menschen den Weg erleichtern. Interview:

SARAH ZIMMERMANN