Rosa Kuh im Höhenflug: Boom der Hofautomaten in Franken

29.12.2020, 05:50 Uhr
Leidenschaft für die Landwirtschaft: Steffi und Michi Bauer, Milchbauern aus Obermichelbach im Landkreis Fürth vor ihren Hofautomaten.

© e-arc-tmp-20201119_143138-3.jpg, NNZ Leidenschaft für die Landwirtschaft: Steffi und Michi Bauer, Milchbauern aus Obermichelbach im Landkreis Fürth vor ihren Hofautomaten.

Die rosa Kuh ist ein Hase. Ein Stofftier, es heißt Rosa, aber weil Luisa, die Tochter der Bauers, wie ihr kleiner Bruder mit Kühen aufwächst, war der Markenname schnell gefunden. Luisas Hase stand Pate, die "Rosa Kuh" heißt die Hofmolkerei der Direktvermarkter aus Obermichelbach im Landkreis Fürth, wo einen der freundliche weiße Hofhund Flocki begrüßt. Einkaufen kann man bei Steffi und Michi Bauer jeden Tag, rund um die Uhr – die Automaten haben nie geschlossen.

Als die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft vor vier Jahren einmal nachzuzählen versuchte, wie viele solcher, da noch neuer Hof- und Lebensmittel-Automaten es wohl gibt, kamen 169 für den ganzen Freistaat heraus, davon 111 Milchautomaten. Sabine Biberger vom Fachzentrum Strukturentwicklung beim Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat damals mitgezählt, heute muss sie laut lachen, wenn sie daran denkt. "Die Zahlen waren schwer zu erfassen", sagt sie, "es waren bestimmt schon mehr", heute, schätzt die Expertin, "sind es leicht zehnmal so viele".

Nachfragen aus dem Ausland

Genaue Zahlen gibt es nicht, der Erfolg der Idee lässt statistische Zwischenbilanzen kaum zu, inzwischen stehen die Automaten in vielen Dörfern, oft ist es mehr als einer. Die Skepsis – "schwieriger als gedacht" dürfte es mit der Sache werden, schrieb damals das Bayerische Landwirtschaftliche Wochenblatt – ist verflogen, Automaten sind weit mehr als eine Notversorgung nach Ladenschluss. "Es ist tatsächlich ein anhaltender Boom", sagt Sabine Biberger, deren Rat inzwischen bundesweit und sogar im benachbarten Ausland gefragt ist.


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Wer das Angebot nutzt? Eigentlich jeder, "ganz bunt", sagt Steffi Bauer, sei der Kundenstamm der "Rosa Kuh", lachend erzählt sie die Geschichte von den Jugendlichen aus der Gemeinde, die sich am Abend gerne an den Automaten trafen, als im Sommer die pandemiebedingten Kontaktverbote gelockert waren, aber die Gastronomie noch geschlossen blieb – "da mussten wir regelmäßig den Kakao nachfüllen".

Kosten: 10.000 bis 20.000 Euro

Die Corona-Krise, sagt Sabine Biberger, hat den Nahversorgern eine ganz neue Aufmerksamkeit beschert, die Bauers können das bestätigen. "So blöd das klingt, aber in dieser Hinsicht hat uns die Krise geholfen", sagt Steffi Bauer, ihr Mann hat den Laptop mit an den Küchentisch gebracht, "sorry", sagt er, serviert dem Besucher einen Kaffee und bittet um Verständnis, dass er sich nebenher ein bisschen um die Lagerlogistik kümmern muss.

Mit dem Aufstellen der Automaten, die zwischen 10.000 und 20.000 Euro kosten, ist es natürlich nicht getan. Sabine Biberger rät zu einer attraktiven Präsentation, "Betriebslogo, Werbeschilder, ein klares Sortiment", sagt sie, machen den Erfolg aus. Neueinsteigern empfiehlt sie ein etwas breiteres Angebot, die Milch allein macht´s noch nicht, obwohl damit, mit den ersten sogenannten Milchtankstellen, alles begonnen hatte.

Milch zum Selbstabfüllen – oft in Sichtweite der Kühe – macht nach Schätzungen des Landwirtschaftsamts noch immer gut die Hälfte des Umsatzes im Automatenbetrieb aus, lohnt aber für viele potenzielle Kunden den Weg noch nicht. Viele Betriebe halten es wie Steffi und Michi Bauer, bei denen es selbst gemachten Joghurt gibt, selbst gemachtes Eis – und darüber hinaus fast alles, was die Region hergibt und "was wir selbst nicht haben", wie Steffi Bauer sagt. Eier, Brot, Fleisch und Wurst, Marmelade, Honig, Lebkuchen, sogar Wein, der von einem Winzer aus Unterfranken kommt.

Gegenseitiger Austausch

Die Idee lebt vom gegenseitigen Austausch unter regionalen Versorgern, in den Wurstautomaten der Metzgereien findet sich auch die Milch vom Bauern. "Wir teilen unsere Produkte", erklärt Steffi Bauer, sie entdeckt ständig Neues, Hanfsamen zum Beispiel, und Kunden können am Automaten einen QR-Code scannen und so das Angebot mitgestalten. Längst sind die Automaten "ein festes Standbein" im Betrieb, sagt Michi Bauer, trotz der eher abgelegenen Lage des Hofes. "Wir können alles wie die Großen – nur besser, regionaler und CO-2- neutraler", steht auf der Homepage der "Rosa Kuh"; der Hof hat eine eigene Biogas-Anlage, das Futter für die 60 Kühe ist gentechnikfrei.

Die Direktvermarktung auch über Automaten nennt Jochen Loy vom bayerischen Bauernverband "eine sehr gute Entwicklung, die wir voll unterstützen". Der Verbands-Geschäftsführer für die Kreise Nürnberg, Fürth und Erlangen-Höchstadt führt nicht nur den praktischen Nutzen an, sondern auch "einen Beitrag zur Wertschätzung der Landwirtschaft und ihrer Vielfalt", die meisten Automaten stehen auf den Hofstellen.

Der emotionale Aspekt

Im Knoblauchsland sieht man inzwischen mehrere Hühnermobile – "und damit für jeden offensichtlich glückliche Hühner", so Loy -, Erdbeerautomaten, auch Ingwer gibt es, sogar einen Salatautomaten, ein Pilotprojekt des Gärtnermeisters Jochen Haubner in Almoshof. Loy will "gar nichts gegen die Supermärkte" sagen, "sie sind ja wichtige Verteiler", aber zu sehen, wie Gemüse wächst oder eine Kuh gemolken wird, das, sagt er, "zeigt vielen Menschen erst, was Landwirtschaft bedeutet und was Bauern leisten".

Den "emotionalen Aspekt" nennt das Sabine Biberger. Selbst in größeren Kommunen gibt es oft keine Bauerhöfe mehr, schon vor Jahren kam eine Studie zum verblüffenden Ergebnis, dass ein guter Teil der bayerischen Schulkinder glaubte, Kühe seien lila – eine Folge der Werbung einer großen Schokoladenmärkte. Lebensmittel werden als etwas wahrgenommen, was in Regalen steht, sagt Jochen Loy, "und nicht als Produkt, für das Bauern sieben Tage in der Woche hart arbeiten, viele von ihnen, ohne viel zu verdienen".

Wenn die Kuh piselt

"Zu weit weg von der Landwirtschaft", findet auch Steffi Bauer, sei heute der größere Teil der Bevölkerung, "je städtischer die Gegend geprägt ist, desto weniger Verständnis gibt es für unsere Belange." In Obermichelbach laden die Bauers, die Herzlichkeit ausstrahlen und eine Leidenschaft für ihren Beruf, ihre Kunden nach dem Einkauf am Automaten deshalb gerne zur Hofbesichtigung ein, "ein bisschen in Richtung Erlebnisbauernhof" soll es gehen.

Sie will, sagt Steffi Bauer, "die Rosa Kuh natürlich nicht durch die rosarote Brille sehen, wir sind ja ein wirtschaftlicher Betrieb, aber es macht Freude, über die Landwirtschaft mit Menschen ins Gespräch zu kommen". Der Einkauf am Automaten muss ganz und gar nicht anonym bleiben. "Und wenn Kinder dann zum ersten Mal sehen, wie eine Kuh pieselt", sagt Steffi Bauer und lacht, "dann ist das noch abends beim Einschlafen ein Thema."

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