S-Bahn: Streckenanrainer werden enteignet

12.11.2009, 00:00 Uhr
S-Bahn: Streckenanrainer werden enteignet

© Mark Johnston

Der Garten von Edith Niedermeier ist nicht mehr wiederzuerkennen. Die Bäume und Büsche, die den Garten von der Bahnstrecke abschirmten, wurden gefällt. Nun blickt sie durch einen Bauzaun auf Ödnis. Einen Streifen ihres Grundstücks musste sie hergeben, damit die S-Bahnstrecke zwischen Fürth und Erlangen Gestalt annehmen kann. Ähnlich ergeht es ihren Nachbarinnen Karin Wolfrum und Margarethe Binder. Alle drei wohnen seit Jahrzehnten in den Reihenhäusern im Wohngebiet «In der Berten».

«Das Haus war als Erbe für meine fünf Kinder gedacht, aber das kann ich vergessen, das kauft keiner mehr», glaubt Edith Niedermeier. Wie ihre Mitstreiterinnen fürchtet sie, dass vor allem die geplante mehrere Meter hohe Lärmschutzwand den Wert des Gebäudes mindern wird. Die Bahn, so klagt das Trio, behandle kritische Anwohner «fast wie Leibeigene» und setze «ihre Pläne rücksichtslos» durch. Man sei ihnen in all den Jahren der Verhandlungen «in keiner Weise» entgegengekommen. Die Bauerlaubnis wollten die Frauen nicht unterschreiben, weil der Vertrag keine exakte Entschädigungssumme

und nur Zirka-Angaben über die benötigten Flächen enthalten habe.

Am 6. Oktober trafen sich die Anwohnerinnen und Vertreter der Bahn zu einem letzten so genannten Gütlichkeitstermin im Rechtsamt der Stadt Fürth. Nach mehrstündiger Diskussion schien eine Einigung greifbar, unter anderem wurde über die Höhe eines Vorschusses der Entschädigung diskutiert. Doch einen Tag später zog die Bahn ihre Zusagen zurück und sprach von «Missverständnissen».

Die drei Frauen unterschrieben die Bauerlaubnis daraufhin nicht. «Sie war ja ohnehin von der Bahn diktiert», so der Tenor. Als zuständige Enteignungsbehörde musste das Rechtsamt das Besitzeinweisungsverfahren einleiten. «Wäre die Zeit nicht so knapp gewesen, hätten wir vielleicht noch eine Lösung gefunden», bedauert die städtische Juristin Hannah Gawehns, die in dem Streit vermittelte und von einer «emotionsgeladenen Atmosphäre» spricht.

Dass die Entschädigungssumme erst später festgelegt wird, sei ein typischer Ablauf in einem solchen Verfahren. Zwar könne sie verstehen, dass Betroffene vorher nichts unterschreiben wollen, aber da es sich um ein dringliches Verkehrsprojekt handelt, unterstütze das Gesetz das Vorgehen der Bahn. Die drei Nachbarinnen werden laut Gawehns dennoch eine Entschädigung erhalten. Die Höhe hänge von zwei Gutachten ab, die im Auftrag der Stadt laufen.

Wenig Spielraum

Gawehns zufolge sind zwischen der Siebenbogenbrücke und der Vacher Brücke 160 Grundstücke vom Ausbau der S-Bahn-Strecke betroffen, etwa 100 befinden sich in Privatbesitz. In 13 Fällen mussten Besitzeinweisungsverfahren eingeleitet werden. Bei der DB bedauert man die Entwicklung im Fall der drei Nachbarinnen. Dass die Einigung ausblieb, begründet Reiner Gubitz, Ingenieur bei DB-Projektbau, wie folgt: Auf der einen Seite stand eine vergleichsweise geringe Entschädigung, weil es sich jeweils nur um wenige Meter Grund handle, auf der anderen Seite die sehr emotionale Bindung der Menschen an ihr Eigentum.

«Oft wird vergessen, dass unsere Spielräume, den Betroffenen entgegenzukommen, begrenzt sind», sagt der Ingenieur. «Es geht nicht, dass wir mit einem goldenen Handschlag einfach einen Tausender drauflegen.» Alles müsse sauber und transparent verlaufen, gesetzliche und zahlungsrechtliche Rahmenbedingungen müssten eingehalten werden. Und noch etwas will Gubitz loswerden: «Wir bauen hier nicht zu unserem Privatvergnügen oder um Anwohner zu ärgern, sondern für die Allgemeinheit.»