Schule im Krisenmodus: "Ach, da ist ja unser Klassenzimmer"

6.4.2020, 11:00 Uhr
Schule im Krisenmodus:

© Foto: Leopold-Ullstein-Realschule

Am letzten Schultag waren wichtige Dinge zu klären: "Hat jeder von euch eine E-Mail-Adresse?", fragte Nadine Klein (36), Lehrerin der Mittelschule Schwabacher Straße, ihre Neuntklässler. Und: "Welche Endgeräte habt ihr eigentlich?"

21 Schüler hatte sie vor sich sitzen, das Ergebnis: Zwei können zuhause ein Tablet nutzen, vier einen Computer oder Laptop. Der Rest hat ein Smartphone. Digitalen Unterricht macht das nicht leichter.

Dabei sind die Voraussetzungen an der Schule, die "Referenzschule für Medienbildung" ist, gut: Viele Lehrer haben einen Bezug zu neuen Medien; zum Team gehört Stefan Herbst (57), der andere Schulen berät. Längst ist eine Cloud für die Kommunikation mit den Schülern eingerichtet, sie können dort Materialien abrufen und Fragen im Chat stellen. Das aber ist eben nur die eine Seite.

Die andere sieht so aus: Auf dem Handy ist das Arbeiten schwierig; ein Drucker fehlt in vielen Familien, manchmal auch WLAN oder technisches Know-how. Für die Lehrkräfte ging es in den vergangenen Wochen somit nicht nur darum, den Stoff auf neuen Wegen zu vermitteln. Sondern auch darum, zu überlegen, wie jeder Schüler mitgenommen wird.

Manche müssen analog versorgt werden, sagen Nadine Klein, Stefan Herbst und ihr Kollege Ersen Balkan (33) im Video-Telefonat mit den FN. Dann werden aus den interaktiven Aufgaben Arbeitsblätter, die man per Post verschickt oder die ein Mitschüler ausdruckt und dem Freund in den Briefkasten wirft. In der Situation merke man mehrere Dinge deutlich, sagt Herbst. Erstens: wie sehr sich das Thema Teilhabe durch den Bildungsbereich zieht. "Alle erwischen wir nicht." Zweitens: Die Schüler, glaubt er, lernen den Wert zuverlässiger Information zu schätzen. Viel Unsicherheit sei in den Abschlussklassen zu spüren, verstärkt werde sie durch Gerüchte und Fake News. Hilfreich wäre es, sagen die Lehrer, die Abschlussprüfungen nicht in Etappen, sondern fest auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.

Drittens: Das Beisammensein fehlt. "Die Schüler brauchen die beruhigenden Worte des Lehrers, die Motivation, auch mal das Augenzwinkern." Mit Videokonferenzen versucht man nun, das aufzufangen. An Mittelschulen sei der Lehrer auch eine Elternfigur, ergänzt Balkan, der jeden Tag einige Schüler anruft. Letztens machte er ein Video für sie, rechnete eine Mathe-Aufgabe vor. Die Schüler reagierten emotional: "Ach, da ist ja unser Klassenzimmer!"

"Wir hatten Glück im Unglück"

Wir hatten Glück im Unglück", sagt Thorsten Weiß: Weil zwei Schüler positiv auf das Coronavirus getestet worden waren, wurde die Leopold-Ullstein-Realschule eine Woche früher geschlossen als die anderen Schulen. So konnte man den digitalen Unterricht planen, bevor das Lernportal Mebis des Kultusministeriums für einige Tage überlastet war.

Auch die Ullstein-Schule ist "Referenzschule für Medienbildung", Weiß ist zuständig für die MeKo-Klassen (Medienkompetenzklassen). Digitale Medien hat man hier schon mehr als andernorts einbezogen; nie aber hatten sie den Stellenwert wie jetzt. Der Digitalisierung wird das einen Schub geben, ahnt Weiß.

Dass Familien technisch unterschiedlich gut ausgestattet sind, nicht alle Eltern im gleichen Maß unterstützen können, merkt man freilich auch an der Ullstein-Schule. Weiß aber befürchtet nicht, dass Schüler nachhaltig abgehängt werden. Er erwartet, dass das Kultusministerium Lösungen findet, um die fehlende Zeit abzufedern: "In einem Jahr, in dem die olympischen Spiele ausfallen, kann es kein Jahreszeugnis wie in anderen Jahren geben."

Weiß berichtet von langen Tagen im Homeoffice, "sie dehnen sich". Sein Eindruck: "Die Lehrer tun ihr Bestes, um Kontakt zu halten." Manches dauert länger, weil die Routine fehlt. Etliche Stunden etwa investierte er in ein neunminütiges Video, das er sich aus einer Mediathek für Lehrkräfte holte und mit Einblendungen versah. Seine Schüler erlebt er im virtuellen Klassenzimmer ähnlich eifrig oder gelassen wie im realen: "Die Persönlichkeitsstruktur spiegelt sich wider", sagt er augenzwinkernd.

Physikversuche auf Youtube

Drei Jahre liegt sein Referendariat zurück, digitaler Unterricht nahm dort noch einen kleinen Raum ein, erinnert sich Manuel Roos (30). Heute unterrichtet er Mathe und Physik am Heinrich-Schliemann-Gymnasium (HSG) und gehört dank Corona zu denen, die ihre ersten Erklär-Videos gedreht haben. Dafür filmte er zum Beispiel seinen Bildschirm und rechnete Schritt für Schritt eine komplizierte Aufgabe vor. Um Physikversuche zu zeigen, greift er allerdings lieber auf gut gemachte Youtube-Videos von anderen zurück.

Anfangs verschickte er die Aufgaben noch per Mail, inzwischen nutzt Roos Mebis und auch das Schülerportal des HSG. Er versucht, sich am Aufwand zu orientieren, den die Schüler in einer normalen Woche für seine Fächer aufbringen – berücksichtigt dabei aber, dass sie länger brauchen, weil sie sich den Stoff selbst erarbeiten. Eigenverantwortung sei gefragt, und die Fähigkeit, sich selbst zu motivieren. Er ahnt, dass das nicht jedem leicht fällt. Roos denkt auch an die Eltern, die gerade bei den Jüngeren helfen und ermuntern müssen, die bei mehreren Kindern verschiedenste Kanäle im Blick haben sollen und zugleich vielleicht noch im Homeoffice gefordert sind.

Für die Ferien hat er seinen Schülern Möglichkeiten genannt, wie sie ihr Wissen vertiefen können. Extra-Aufgaben gab es von ihm nicht: Die Ferien seien zum Erholen da.


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