Statt Müll brannte die Leidenschaft

10.1.2011, 16:00 Uhr
Statt Müll brannte die Leidenschaft

© Thomas Scherer

Aus der gerade hundertjährigen Geschichte der Abfallwirtschaft ragen tatsächlich zwei künstlerische „Ereignisse“ hervor, die zwar vergänglich waren, mittels kreativer Geistesblitze aber doch die Aufmerksamkeit auf das Thema „Müll“ lenkten. Ende der 80er Jahre wurde der Nürnberger Bildhauer und Objekt-Künstler Winfried Baumann auf den Atzenhofer Müllberg aufmerksam.

Baumann faszinierte die Form der Deponie, bei der er nicht nur an eine harmlose Pyramide denken musste: „Die steil abfallende Seite des Berges erschien mir auch als scharfer Schnitt, und insgesamt sah ich da auf einmal einen Stachel. Und das war der Grundgedanke, dass diese Deponie, auch wenn sie rekultiviert oder begrünt ist, immer noch die Form eines Stachels, also etwas Unbequemes hat“, erinnert sich Baumann heute.

Also wollte er den Müllberg, der damals kurz vor seiner Schließung stand, komplett in Stahl verpacken und somit nicht nur das Innere, den Abfall, sondern vor allem den Anblick „konservieren“. Mit dem solcherart zum Symbol gewordenen Schutthügel wollte er zeigen, was es heißt, die Erde ständig auszubeuten und das Vorgehen zu vertuschen: „Materie wird ständig gebraucht, ausgesaugt und unbrauchbar gemacht, wird in Erdlöchern und Talsenken weggelegt und versteckt; die entstandenen Narben aber schließt man dann nurmehr kosmetisch.“

Durchdacht war sein Konzept bis in letzte technische Details hinein: Mit Mantelflächen aus Stahlbeton sollte der Müllberg einen hermetisch abgeschlossenen Raumkörper bilden, „der gewährleistet, dass kein Sickerwasser entsteht, und verhindert, dass Deponiegas unkontrolliert ausströmen kann. Das anfallende Gas wird kontrolliert abgeleitet und in die städtische Gasversorgung eingespeist.“

Das praktizierte und populäre Verhalten, den Müll und die unwert gewordenen Konsumgüter möglichst leise wieder abzulegen und damit aus Augen und Sinn zu verlieren, sei nichts anderes als der Ausdruck eines schlechten Gewissens, das durch die sogenannte Rekultivierung von Reststoffdeponien beruhigt werden soll, kritisierte Baumann. Solch ein Müllberg als weithin sichtbares, zunächst rätselhaftes und ständig Fragen aufwerfendes Kunstwerk — und nicht als nett gestaltetes Ausflugsziel, wie wir ihn heute haben — hätte zwar sicherlich nicht dazu animiert, fortan weniger Abfall zu produzieren; aber er wäre vielleicht tatsächlich ein schmerzender Widerhaken im Denken des Konsumenten gewesen, eine Erinnerung daran, dass unter der Stahlhaut die Hinterlassenschaften einer sorglos entsorgenden Gesellschaft bis in die nächste Ewigkeit liegen und rumoren.

Der aufgeschüttete Wohlstandsberg sollte aus Baumanns Sicht nicht schön gestaltet und somit verdrängt, sondern „brutal gelassen“ werden. „Seit frühester Zeit haben sich die Menschen ihre Totenstätten errichtet“, gab er zu bedenken. „Und hier in Atzenhof stelle ich mir eine Totenstätte für die Erde auf der Erde vor, ein Paradoxon, das dem vorherrschenden Positivismus entgegensteht.“

Zu einer Realisierung von Baumanns Plänen — ein Blick Richtung Atzenhof zeigt es — kam es nie. Dennoch, so erinnert sich der Künstler heute, wurden seine Überlegungen, die mittlerweile in Werk-Katalogen des Künstlers dokumentiert sind, von der Stadt erstaunlich wohlwollend aufgenommen: „Die Stadt Fürth hat sich von Anfang an sehr interessiert gezeigt. Auch wenn es sich jetzt nicht so in der abstrakten Form hat verwirklichen lassen, gehe ich davon aus, dass einige Aspekte meines Entwurfs über die Jahre jetzt auch in der endgültigen Fassung der Deponie mit eingeflossen sind.“

Zur zweiten inspirierenden Begegnung zwischen Müll und Kultur auf Fürther Boden kam es im Jahr 2004. Der Schauplatz war damals ein Gebäude, das auf ganz andere Weise wie ein störender Stachel im Fleisch der Kommunalpolitiker für Unbehagen sorgte: die Verschwelungsanlage am Hafen, die für 125 Millionen Euro hingestellt worden war — und gerade mal vier Wochen lief.

Fürth hatte sich eine Technologie von der Firma Siemens aufdrängen lassen, die sich als noch unausgereift und für die eigenen Verhältnisse völlig unzulänglich herausstellte. So wurde der monumentale und teure Stahlbau über Nacht zur unbrauchbaren Ruine, unverhofft — wie es von Winfried Baumann für den Müllberg gedacht war — zum Mahnmal der Probleme mit der Abfallwirtschaft, zum Denkmal für falsche Energie-Politik.

Aber ausgerechnet dieser Koloss kam als vor sich hinrostender Schandfleck nochmals zu besonderen Ehren: Er wurde so etwas wie ein Kultur-Tempel. Die Pocket Opera Company, bekannt für ihre ungewöhnlichen Aufführungsorte, recycelte gewissermaßen das denkwürdige „Fortschritts“-Denkmal und inszenierte dort zwei Opern von Henry Purcell und Sylvano Bussotti: purer Barock zwischen Stahl und Beton unter dem für solch eine Ruine fast schon satirischen Motto „One charming night“.

Für die Nürnberger Company wurde die Fürther Schwelbrennanlage zu Deutschlands „wohl größtem Opernhaus“. Der gigantische Komplex, in ihm die verwaisten technischen Apparaturen, das Eisengestänge, die Rohre, Öfen und Gänge — er bildete den Hintergrund der theatralischen Erforschung von Sehnsucht nach Liebe, wie sie in den barocken musikalischen Werken zum Ausdruck kommt.

Gespenstische Stille

Widersprüche und Brüche, Zeitensprünge und scheinbar Unvereinbares: Große Oper in einem abgewrackten Gebäude war das, und die Macher selber gerieten angesichts dieser Kulisse ins Schwärmen: „Gleichsam als Parallele zum menschlichen Gefühlsleben widerspiegelt die Anlage das Eintreten des ,nackten Menschen‘ in die Dynamik der Begegnung, sie lässt ihn das Zerschreddern des Empfindens zwischen Romantik, Begierde, Lust, Leidenschaft und Gewalt erahnen, um ihn dann gereinigt zu entlassen.“

Nach ein paar umjubelten Aufführungen kehrte wieder gespenstische Stille in die Verschwelungsanlage ein, die seitdem verrottend auf irgendein endgültiges Ende wartet. Man kann sich aber heute noch die CD mit der kompletten Aufnahme von „One charming night“ bei der Pocket Opera Company besorgen und hineinlauschen in dieses ganz besondere, einigermaßen absurde Sound- und Gefühlsgemisch aus Metall und Barock, aus Liebessehnsucht und technischer Vergänglichkeit. Eine wahre Müll-Oper eben.

Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Fürther Abfallwirtschaft sendet der Bayerische Rundfunk am 16. Januar um 12.05 Uhr im Programm Bayern 2 ein Hörfunk-Feature des FN-Autors Bernd Noack mit dem Titel „Eine Stadt entsorgt sich“.