"Swing Street": Fürth im Musical-Fieber

15.10.2020, 20:58 Uhr

Spontane Antwort, bitte: Welches Bild haben Sie vor Augen, wenn Sie an New York denken?

Wolf: Hochhäuser.

Arenz: Das Flatiron Building.

Wolf: Das pulsierende Leben inmitten all der Wolkenkratzer, das ist für mich New York.

Arenz: Ich hatte in meinem Jugendzimmer ein Poster mit den Hochhäusern am Central Park. Wunderbar.

Allerdings ist es gerade recht unschön, an Amerika zu denken. Vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten kann aktuell wirklich nicht die Rede sein.

Wolf: Denkt man an Trump, ist es ein katastrophales Land. Ich habe allerdings ein anderes, ein positives Bild, weil mich die Musik seit je her prägt. Als Kind habe ich daheim die "Glenn Miller Story" im Fernsehen angeschaut. Mich hat das umgehauen, dieser Sound, diese Energie.

Arenz: Keine Frage, wir haben während der Pandemie furchtbare Bilder aus New York gesehen. Das Amerika, von dem wir sprechen, wenn wir von New Orleans sprechen und von der New Yorker Künstlerszene, ist allerdings eine völlig andere Welt. Meine Mutter liebte alles von Fred Astaire und Ginger Rogers. Das prägt einen mehr, als man denkt. Das USA-Bild meiner Kindheit in den späten sechziger Jahren war keinesfalls ungetrübt. Aber viele Vierziger-Jahre-Filme haben sich mir tief eingeprägt. Und eine Reihe Dramatiker. Arthur Miller, Tennessee Williams.

Ein Weg, der irgendwann in die "Swing Street" führen musste?

Wolf: Ja. Dieses Stück repräsentiert uns so sehr wie kein anderes zuvor. Es ist unser ureigenstes Ding, in das unglaublich viel Herzblut geflossen ist. Es ist unser Baby, das dank vieler treusorgender Geburtshelfer wachsen und gedeihen konnte.

Wie kam es dazu? Es ist ja nicht Ihre erste Zusammenarbeit.

Wolf: Um ehrlich zu sein, nach dem "Tunnel" 2015 wollten wir nicht mehr, es war keine durchweg positive Erfahrung. Natürlich sind wir trotzdem in Kontakt geblieben. Irgendwann kam uns der Gedanke: Wir wollen etwas machen, das wirklich etwas mit uns zu tun hat.

Arenz: Etwas, das mal nicht ein Stück Fürther Geschichte erzählt, sondern das national und international erfolgreich sein könnte.

Wolf: Ich weiß noch genau, wie ich vor drei Jahren daheim auf dem Sofa googelte, weil meine Partnerin Béatrice Kahl ein Programm über Marlene Dietrich und Edith Piaf vorbereitete. Im Zuge der Recherchen stieß ich auf die genannte 133. Straße in Harlem. Plötzlich lese ich, dass sich dort in den dreißiger Jahren ein Jazzclub an den anderen reihte. Ich dachte, da muss es doch etwas geben, ein Stück, einen Film. Nix! In der Kaffee-Bohne . . .

Arenz: . . . wo wir wirklich schon sehr viel besprochen haben . . .

Wolf: . . . habe ich Ewald dann vorgeschlagen: Das könnte ein Thema sein für ein Stück, wo du deinen speziellen Humor machst und ich meine Musik. Ein Stück, das unseren Geschmack widerspiegelt, märchenhaft und romantisch.

So arbeiten auch die US-Musicals

Wie darf man sich das Basteln am Baby vorstellen?

Arenz: Wir haben so eng zusammengearbeitet wie noch nie. Ich habe oft schon morgens zwischen 6 und 7 Uhr eine Nachricht von Thilo bekommen, hör’ dir das mal an, könnte das was sein?

Wolf: Was bei "Swing Street" völlig neu ist: Wir haben uns die Arbeitsbedingungen der großen US-Musicals abgeschaut. Es gab schon im Frühjahr einen Workshop mit allen Beteiligten. Das war enorm inspirierend. In deutschen Theatern wird der Stoff normalerweise sechs Wochen vor der Premiere in die Hand genommen. Hier aber hatten wir einen Erfahrungsvorsprung.

Arenz: Man kann dem Stadttheater nicht genug danken, dass es uns dieses Arbeiten möglich gemacht hat.

Wolf: Ein großes Geschenk ist auch unser Regisseur. Gaines Hall kann alles, was ein Musicalprofi kann. Er weiß genau, was er will und ist dennoch offen für Input.

Arenz: Es war ein Work in Progress ohne Eitelkeiten.

Wolf: Normalerweise ist bei solchen Produktionen immer einer dabei, der spinnt. Hier aber haben wir von Anfang an gemerkt, dass es nicht um Eitelkeiten, sondern ums Ergebnis geht. So etwas ist selten. Hinzu kommt die Besetzung. Karolin Konert als Anna spielt hier ihre erste große Rolle, sie ist extrem frisch. Friedrich Rau ist nicht nur Musicaldarsteller, sondern ein sehr guter Pianist und Gitarrist. Wenn Sie das wissen, können Sie als Komponist ganz andere Dinge machen.

Wie und wonach klingt "Swing Street"? Wären Sie erfreut oder eher sauer, wenn man dem Stück nachsagt, es klingt wie Gershwin oder Miller?

Wolf: Musik besteht immer aus zwölf Tönen, da ist die Wahrscheinlichkeit nicht gering, dass es Überschneidungen gibt.

Arenz: Ich würde sagen, "Swing Street" klingt wie Wolf. Sie können nie etwas völlig Neues schaffen.

Wolf: Wir wollten kein Stück für den Kopf machen, oder sagen wir: nicht nur für den Kopf, sondern ein Stück, das ab dem Herz runterwärts in die Füße geht. Ich nutze die Stilelemente der heutigen Zeit, einen modernen, urbanen Sound, und dann geht’s in eine Klangwelt, in der wir es mit einer Big Band zu tun haben, mit gestopften Trompeten und diesem ungeheuren Rhythmus. Ich wollte einfach gute Songs komponieren.

Kein Kompromiss trotz Corona

"Swing Street" und Corona: Inwieweit hat die Pandemie Auswirkungen auf Entwicklung und Dramaturgie dieses Stückes gehabt? Fürth ist eines der wenigen Häuser, die aktuell ein Musical an den Start bringen.

Wolf: Das Stück ist wegen Corona kein Kompromiss geworden. Von Anfang an haben wir überlegt, ob wir das durchziehen können. Gaines sagte: Ich mach’ das! Er kann so inszenieren und choreografieren, dass der Abstand gewahrt bleibt.

Arenz: Das Ensemble hat sich mehrfach testen lassen. Corona zwingt uns zu einem zweistündigen Abend ohne Pause. Das könnte das ältere Publikum eventuell in Schwierigkeiten bringen. Doch wir können auf diese Weise einen Bogen spannen ohne Spannungseinbruch. Das tut dem Abend gut, finde ich.

Wolf: Die Big Band ist etwas kleiner als in Normalbesetzung und spielt auf der Bühne hinter Plexiglas. Aber es fällt nicht auf.

Arenz:Schon das Casting war so ein Ding. Der Shutdown erfolgte genau in dieser Phase, sodass wir zum Teil per Video casten mussten.

Wolf: Über Zoom hatten wir Karolin und Friedrich gebeten, miteinander eine Szene zu spielen. Das klappte so gut, dass wir wussten, die beiden sind es. Unglaublich.

Das Paar Anne und Mike begibt sich auf eine Zeitreise in die dreißiger Jahre, es steckt obendrein in einer handfesten Krise. Waren Sie selbst jemals in einer Lebenslage, in der Sie sich flott eine Zeitmaschine herbeiwünschten?

Arenz: Oh ja.

Wolf: Oh ja. Was das Paar erlebt, haben wir alle schon erlebt. Mikes Selbstoptimierungswahn, das kenne ich hundertfach von meinen Kunden in der Firma. Da verliert sich jemand, weil er sich selbst vergisst.

Hätten Sie die Chance, in die Zeitmaschine zu steigen – würden Sie sich für eine Reise in die Vergangenheit oder für einen Trip in die Zukunft entscheiden?

Arenz: Ich denke an meinen Zahnarzt in den siebziger Jahren, dahin will ich auf keinen Fall zurück. Mich interessiert die Zukunft. Ich wüsste gern, wie erfolgreich "Swing Street" in 20 Jahren sein wird.

Wolf: Ich würde mich gern in den Jahren umschauen, über die wir in "Swing Street" geschrieben haben.

Keine Angst, eine Epoche zu verklären, die alles andere als lustig war?

Wolf: Natürlich glorifizieren wir diese Jahre, in denen in Wirklichkeit Krieg herrschte. Aber es würde mich trotzdem interessieren.

Wie werden wir das Theater verlassen: belustigt, beseelt, traurig?

Arenz: Sie werden rausgehen und Lust haben auf Musik und Tanzen.

Wolf: Wenn wir Sie berühren konnten, wenn Sie sich wiedererkennen in der Story von Mike und Anna, und wenn Sie dann noch einen Ohrwurm mit nach Hause nehmen, dann haben wir unseren Job gut gemacht.

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