Thomas Händel: "Europa geht nur gemeinsam"

25.5.2019, 16:00 Uhr
Thomas Händel:

© Foto: Rolf Haid/dpa

Herr Händel, sind Sie inzwischen ein überzeugter Europäer?

Ja. Weil ich der Überzeugung bin, dass wir vieles – von der Klimapolitik bis zur Flüchtlingsfrage – nur zusammen schaffen können. Auch ein soziales Europa können wir auf Dauer nur gemeinsam organisieren, europäische Kleinstaaterei bringt uns nicht weiter.

 

Bevor Sie vor zehn Jahren Abgeordneter wurden, hatten Sie noch eine etwas andere Haltung . . .

Das stimmt, ich war relativ skeptisch. Das lag auch daran, dass ich mich nicht intensiv genug mit Europa beschäftigt hatte. Das ist überhaupt ein Manko in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit, dass wir Europa oft als vermeintlich zu kompliziert beiseite legen.

 

Und heute stehen Sie vorbehaltlos hinter der EU?

Ich hatte damals wie heute Kritik an bestimmten Verhältnissen in Europa. Aber es geht nicht darum, die EU zu lieben oder zu hassen, sondern sie als unseren Lebensraum wahrzunehmen, den es zu gestalten gilt.

 

Sie durften ihn zehn Jahre lang mitgestalten. Was haben Sie erreicht?

Gerade jetzt in den letzten Zügen haben wir eine wichtige soziale Frage geklärt: gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort, die sogenannte Entsenderichtlinie. Oder beispielhaft gesagt: Ein rumänischer Arbeitnehmer soll in Deutschland oder Frankreich auf dem Niveau eines Einheimischen bezahlt werden. Das war mir als Vorsitzender des Beschäftigungsausschusses wichtig. Wir haben aber auch für Verbraucher viel erreicht . . .

 

Thomas Händel:

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Zum Beispiel?

Dass die Trinkwasserversorgung nicht privatisiert werden darf. Wir haben die Roaming-Gebühren fürs Handy abgeschafft und das transatlantische Handelsabkommen TTIP verhindert, das viele Nachteile mit sich gebracht hätte. Und wir haben das Recht aufs eigene Konto durchgesetzt. Man kann sich ja gar nicht vorstellen, wie es ist, kein Konto zu haben. Dann bist du in unserer Gesellschaft ein Niemand.

 

Was haben Sie nicht geschafft? Wo gibt es die Defizite?

Das Prinzip "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" muss noch auf nationaler Ebene verankert werden. Wir haben außerdem ein Demokratiedefizit. Das Parlament hat leider keinerlei Initiativrecht, es kann die Kommission also nicht auffordern, etwas zu tun. Aber auch in der Klima-, der Energie- und der Sozialpolitik herrscht noch dringender Handlungsbedarf.

 

Wenn Sie die Macht gehabt hätten, ein Gesetz alleine durchzuboxen, was wäre es gewesen?

Ein europäischer Mindestlohn in Höhe von 60 Prozent des durchschnittlichen Verdienstes des jeweiligen Landes. Das würde keinen Staat überfordern. Wenn wir dann auch noch ein Mindestrentenniveau einführen würden, dann wären das zwei wesentliche Schritte. Das Armutsthema hat mich in den zehn Jahren sehr beschäftigt. Niemand soll in diesem reichen Europa arm sein müssen – weder in Arbeit noch im Alter.

 

Nach zehn Jahren ist jetzt Schluss, Sie kandidieren nicht mehr. Warum?

Wichtigster Grund war der gesundheitliche Rat meiner Ärzte, wegen meiner Krebserkrankung und nach etlichen Operationen nicht mehr anzutreten. Inzwischen geht es mir wieder deutlich besser.

 

Hätten Sie noch eine Wahlperiode angehängt?

Wenn ich ganz gesund wäre, dann sehr gerne.

 

Was machen Sie nach Ihrer Zeit als Abgeordneter?

Ich witzle gern darüber, dass ich jetzt auf die Trainerbank wechsle. Als stellvertretender Vorsitzender der Rosa-Luxemburg-Stiftung will ich mich intensiv um politische Bildung kümmern. Viele Menschen, auch Journalisten, haben zu wenig Ahnung von Europa, das will ich ändern. Außerdem liegen bei mir zu Hause die unfertigen Manuskripte zu zwei Büchern. Eines natürlich zum Thema, was wir für Europa tun könnten und tun müssten. Auf diese Arbeit freue ich mich.

 

Der Brexit, die Rechtspopulisten in vielen Ländern der EU – haben Sie manchmal Angst um Europa?

Wenn ich höre, dass sich Nigel Farage in Großbritannien von Neonazis hofieren lässt, dann macht mir dieser Sumpf schon Angst. Ich glaube aber: Wenn die Menschen mehr darüber wissen, was Europa ist, was es uns bringt und schon gebracht hat, dann werden viele begreifen, dass es nur eine gemeinsame Zukunft geben kann.

 

Was erhoffen Sie sich von der Wahl am Sonntag?

Dass die Menschen keine rechten oder antieuropäischen Kräfte wählen. Das tut uns nicht gut.

 

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