Trompeten für Wagner

11.6.2013, 08:49 Uhr
Trompeten für Wagner

© Winckler

Doktor Tristan K. war ein beneidenswerter Mann. Eine gut gehende Praxis für Allgemeinmedizin, ein Haus im Grünen, ein stets wohl gelaunter Mops namens Alexander von der Pegnitzquelle, kurz Pengnatz, was sich sehr gut auf „Platz!“ reimte. „Pengnatz! Platz!“ – und der Hund schien zu grinsen dabei. Ein gut gelaunter Hund. Ein Menschenfreund und Maulwurfsfeind! – und bei der Suche nach all den schwarzen Gesellen sprengte er gerne den Rasen.

Glücklich war er, wenn er, solch ein Pelztier im Fang, sich niederlegen durfte vor Frau Isolde K., seiner Herrin, Fitness-Trainerin, durch und durch trainiert, eine Rassestute mit Humor, schmallippig, doch mit großem Herzen.

Das merkte man daran, als sie sich niederbeugte zum erregten Hund und so mit ihm sprach: „ Mein lieber, dummer Hund. Maulwürfe sind geschützt und du machst den Rasen noch mehr perdu als die. Wie soll ich heut’ Abend dem erfolgsverwöhnten Doktor bei unserer Grillparty erklären, dass die Gäste heute nicht auf einem Rasen, sondern auf einer Fußballwiese parlieren müssen?“

Der Hund hörte ihr sehr interessiert zu.

„Und ich finde es auch traurig“, fuhr Frau Isolde K. fort und lächelte dabei selbstironisch und ein Stich fuhr ihr ins Herz. „Ich finde es auch traurig, dass ich hier in meinem wunderschönen Garten nur mit einem freundlichen Hund und nicht mit einem freundlichen Kind reden kann. Denn mein Schoß ist, wie

es in der Bibel heißt, ,versiegelt‘. Ich bin unfruchtbar und mein lieber Gatte liebt Kinder und auch das,

was er ,natürliche Sinnlichkeit‘ nennt.

Anna Netrebko zum Beispiel die wär’ es. Ich, lieber Pengnatz, perfektioniere tagtäglich meine Fassade, ich bin ein durchgestyltes Gesamtkunstwerk – aber leider nicht für meinen Mann.“

Der Hundeblick, er traf sie.

„So, die Lefzen leckend, hätte mich mein lieber Tristan auch einmal wieder anschauen sollen, aber das ist lange her.“

„Komm, Pengnatz, wir verlegen den Kunstrasen und verwischen alle Spuren – und auch meine Tränen.“

In seiner Praxis bereitete Dr. Tristan K. wieder einmal seinen Abgesang vor. Er bat Frau Penelope Kri in sein Sprechzimmer, seine schönlippige Reinigungskraft und seine Geliebte seit mehreren Monaten. Er hatte sich in ihr kreatürliches Hinterteil verguckt.

„Welch wunderbares Becken“, hatte er damals ganz leise und höchst fasziniert gemurmelt — und als sie ihm von ihrem achtjährigen Sohn „Doron“ erzählte, war er hin und weg. Eine allein erziehende Mutter, sehr schön und sehr sinnlich, aber er sah in ihr erst mal und lange nur die Mutter. Sie tat sich schwer, finanziell, und sie musste ihrem Sohn so oft etwas abschlagen.

„Bringen Sie den Doron einfach mit, wenn Sie hier arbeiten, vielleicht kann ich etwas für ihn tun.“

Und Doron, der kleine Grieche mit den dunklen Augen, entzückte Dr. K.s Herz. Ein freundlicher, etwas altkluger, sehr erwachsen wirkender Junge. Er hatte auch viel zu trösten bei seiner Mutter, Kind und Lebensberater zugleich, das überfordert.

Dr. K. öffnete sein Herz und seine Brieftasche, er finanzierte Klassenfahrten und Gitarrestunden und manchmal las er ihm griechische Sagen vor. „Du musst wissen, wo Du herkommst, Du Göttergeschenk.“

Und über Doron kamen Tristan und Peli, so nannte er sie jetzt, zusammen.

Tristan K. öffnete bald die Tür. „Komm bitte noch einmal, Penelope, ich muss mit Dir reden. Nur reden.“ Drinnen laute Wagnerklänge. Penelope hasste diesen Wagner. „Irgendwie hatte der liebe Doktor Tristan doch eine Meise. Dröhnende Musik wie aus einer Kirche. Schmalzgebäck!

Tristan ist doch ein alter Mann.

Penelope liebte Jazz. Miles Davis, war der ein Trompeter! Auch alt, aber ohne Sentiment.

„Setz Dich, Penelope. Ich habe nachgedacht. Es fällt mir schwer. Hast Du nicht auch gesagt, wir müssten eine Entscheidung treffen? Es geht hin und her bei mir.“

Tristan atmete tief durch. „Ach, wie Du riechst, Lopi. Wie ein Zimtladen. Eine Gewürzgasse. Und das alles strömt aus Dir. Jugendduft. Ich bin doch ein Nasenmensch. Ich sehe, schmecke, fühle, höre nur durch Dich.“

„Verzeihung, Doktor, aber jetzt bist Du alt. Du laberst alt. Du machst Dich klein.“ Penelope versetzte ihm einen leisen Tritt.

Jetzt war es höchste Zeit zum Grillen! Sein Abgang schien locker, aber sein Herz war schwer. Ein Leben ohne Zimtgeruch und ohne Doron? Geht das? Ein Leben in der Idylle, nur mit Pengnatz und Johanna, die er vor langen, langen Jahren mit klopfendem Herzen seine „Isolde“ genannt hatte. Oder war es Johanna gewesen, die sich diesen Namen selber zugesprochen hatte?

Ach, der Taumel! Wagner wärmte und Wagner heizte auf. Sie liebten sich sehr, Tristan und Isolde, und die Liebe kühlte ab. Sie schwärmten beide von den vielen Kindern, die sie haben wollten, aber die Kinder

blieben aus und es kamen die Vorwürfe.

„Du mit Deinem Fitnesswahn.“

„Du mit Deinen Opern!“

Oder: „Du bist und bleibst eben eine grüne Kräuterhexe“ – und Isolde kannte sich gut aus in ihrem Garten und sie wusste genau, was sie da pflanzte: Küchenkräuter und Heilkräuter zum Abnehmen und viele wunderhübsche Blüten, die gut waren gegen Depressionen, in Maßen genossen, natürlich.

Tristan unterstellte sie Arbeitswut, er war ein guter, gründlicher Arzt, aber ihre feine Nase hatte schon längst herausgefunden, dass die Arbeit nicht nur Arbeit war.

Frau Isolde hatte den Rasen in Ordnung gebracht, die Grillparty war in vollem Gange, als Tristan eintraf. Ach, wie stürmisch begrüßte ihn gleich der Hund, wartete schwanzwedelnd auf das „Pengnatz! Platz!“

Auch Frau Isolde drängte sich an Tristan. „Eigentlich wollte ich ab heute wieder ,Johanna‘ sein, Du weißt schon warum! Isolde forever!“ Und sie küsste ihn innig vor aller Augen, wie sie ihn schon lange nicht mehr geküsst hatte. Die Gäste klatschten Beifall. Ein entspannter Abend unter Freunden.

Am nächsten Morgen beim Frühstück dieselbe überbordende Freundlichkeit. Isolde-Johanna erkundigte sich nach seinem Tag, fragte auch nach dieser sagenhaften Reinigungskraft Frau Kri – eigentlich müsste sie ja Frau Augias heißen, denn diese elementare Kraft, mit der sie immer wieder seine Praxis in Ordnung brächte! — ein Augiasstall sei da zu putzen, wahrhaftig. Deshalb bliebe sie auch wohl so lange. Isolde-Johanna lächelte sybillinisch. Tristan schwieg weise.

Kurz: Sie hole ihn ab, gegen 6 Uhr. Sie könnten dann gemeinsam noch etwas bummeln gehen.

Tristan K. blieb schweigsam, er hatte sehr schlecht geschlafen. Er hatte Pläne entworfen, wie er Doron doch noch mit einem Dauerauftrag unterstützen und Kontakt mit dem Jungen halten könnte, und er hatte ein schmeichelhaftes Empfehlungsschreiben für Peli formuliert.

Frau Isolde dagegen hatte am Vortage sehr intensiv in ihrem Garten gearbeitet und dabei nicht nur die Party vorbereitet. Ihr ganzer Stolz waren die wunderbaren weißen, gelben und rot gefüllten Engelstrompetenbüsche. Die strömten einen betörenden Duft aus und waren von leicht deliriert wirkenden Schmetterlingen umschwärmt. „Auch diese grazilen Wesen wissen, was gut tut“, konstatierte Isolde erfreut. Dann hatte sie sorgfältig Handschuhe über ihre wohl gepflegten Finger gezogen und hatte etliche Blüten gepflückt. Sie hatte den Backofen auf 50° gestellt und die Blüten mehrere Stunden lang getrocknet. Ein süßlicher Duft erfüllte das Haus.

Die getrockneten Blüten zerrieb sie langsam und liebevoll zu Kaffeepulver ähnelndem Staub. Dabei sang sie: „Ich bin so schön, ich bin so schlank, ich brau den Liebes- und den Wahrheitstrank.“ Pengnatz schaute ihr missbilligend zu.

Pünktlich war Johanna-Isolde da. Sie hatte den Hund mitgebracht. Penelope war noch am Putzen. „Machen Sie eine kleine Pause“, sagte sie freundlich. „Ich habe einen so wunderbaren Kaffee aus Guatemala im Dritte-Welt-Laden gefunden, der schmeckt so aromatisch, so strange, aber köstlich, den müsse man unbedingt gemeinsam probieren. Die haben mir die genaue Dosierung erklärt.

Setzt Euch einstweilen und gebt Pengnatz Wasser. Ich komme gleich!“ rief Isolde, leicht singend, schon aus der Praxisküche.

Penelope und Tristan saßen leicht verlegen im Besprechungszimmer. Was sollte das werden?

„Eine Prise Blütenstaub auf einen Messlöffel Kaffee, das wird wohl recht sein“, murmelte Isolde in der Küche. „Bitter und süß und stark und aromatisch wie die Liebe, wie der Tod, wie die Wahrheit, wie die Sehnsucht.“ Sie lachte.

Isolde stolzierte herein, aufrechten Ganges gleich einer Afrikanerin. Sie trug das Tablett auf dem Haupt, die Tassen klimperten fein.

„Wow“ sagten die beiden.

„Das habe ich in einem meiner schrägen Yogakurse gelernt.“

„Trinkt ihn ganz schnell“, rief Isolde. „Der Kaffee schmeckt nur ganz heiß so gut!“

Sie tranken und staunten. Ach gut! Exotisch! Stark. Ich fühle mein Herz rasen! Noch eine Tasse!

Ich fliege.

Du auch? Wo kommen wir hin?

Die Zungen lösten sich.

„Weißt Du, dass ich auf Dich ganz neidisch bin?“, lachte Penelope und meckerte laut. „Du verwöhnte Fitnessziege!“

„Und Du, Du griechisches Vollweib!“, lachte Isolde jetzt schrill, „Du Bioacker, von meinem Mann gepflügt. Ich weiß das!“

Auch Doktor Tristan hatte es erwischt. Er sprang auf und sang weit ausholend seine Lebenspartitur: „Oh Wonne voller Tücke, oh truggeweihtes Glücke!“

Die Tassen flogen vom Tisch. Zu groß war die Ekstase.

Pengnatz hatte dieses dionysische Bachanal nicht lange ausgehalten. Er bellte laut und verzweifelt und durchdröhnte mit seinem Gekläffe das Treppenhaus.

Die Sanitäter fanden ein verzücktes Personenknäuel am Boden. Der Hund versuchte wach zu lecken, was zu lecken war. Der Notarzt hörte aus dem Gestammel etwas von Menschen – und von Engelszungen und von fehlender oder zu großer Liebe.

„Ah, Engelstrompeten“, erkannte er, „die saisonale Droge.“

Im Krankenhaus lagen sie nach überstandener Prozedur einträchtig in einem Dreibettzimmer. Alle drei lächelten beschämt.

Also eine neue Lebensplanung. Tristan und Isolde dürfen ab sofort liebe Leiheltern für Doron sein. Penelope macht eine Ausbildung als medizinische Fachkraft in einer anderen Praxis. Wagnerentzug für mindestens sechs Monate. Doron darf die Engelstrompeten nicht anfassen. Der Mops Pengnatz bekommt als dreifacher Lebensretter wöchentlich ein saftiges Steak und Doron darf ihn ausführen.

Doktor K. aber wurde nicht die Lizenz entzogen, denn der Exzess blieb auf ewig geheim, unter Kollegen.



 

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