Lindenhain-Open-Air

Umsonst und draußen - und sehr viel Spaß: Fürth in Livemusik-Laune

Reinhard Kalb

30.5.2022, 15:00 Uhr
Umsonst und draußen - und sehr viel Spaß: Fürth in Livemusik-Laune

Jetzt, wo Kultur wieder schrankenlos stattfinden darf: Wo ist das Publikum? Es traut sich kaum aus seinem stillen Kämmerlein. Es bleibt daheim, wohl auch aus Bammel vor geschlossenen Räumen mit vielen Personen darin. Livestream vom Sofa aus ist ja auch ganz nett.

Nichts davon beim "Umsonst und Draußen"-Open Air 2022 im Lindenhain. Nachdem im Vorjahr und 2020 Konzerte nur mit angezogener Handbremse liefen – hier mit höchstens 200 Besuchern, mit Maskenpflicht und Verzicht auf Verpflegung –, tummelten sich am Wochenende zu den Auftritten von knapp zwei Dutzend Bands weit mehr Leute auf den feuchten Wiesen hinterm Elan-Gebäude, mit Bier, Proviant und entfesselter Begeisterung. "Im Grunde ist es wieder wie 2019, ein ganz normales Open Air", freut sich Jugendkulturmanagerin Sabine Tipp, "aber die Anzahl der Besucher und ihre Begeisterung wirken trotzdem überwältigend."

Das ist mit Händen zu greifen. Jedes Alter ist vertreten, vom Kleinkind mit Ohrenschützern und Jugendlichen im Testosteronrausch über Mittvierziger im zweiten Frühling bis zu den ergrauten Rock’n’Roll-Veteranen. Ob händchenhaltend im Duo, zusammen in der Clique oder als Familienverbund, das Lindenhain-Open-Air bringt sie alle zusammen und demonstriert höchst anschaulich, wie Kunst und Leben zusammengehören.

Bis zum Kollaps

Und die Musik? Wer bei NH3 an verunglückte Ammoniak-Experimente in der Chemiestunde denkt, liegt so verkehrt nicht. Das Sextett aus Italien hat sich tatsächlich nach der chemischen Formel benannt. Und so ätzend wie der Harnstoff klingt dann auch der sogenannte Ska-Core: rasende Rhythmen auf allen Instrumenten bis zum Kollaps, statt Gesang ein atemloses Skandieren von Parolen, unterstützt von Saxofon und Trompete, dazu ein Gehopse auf und vor der Bühne unter großzügigem Verschütten fermentierten Gerstensaftes – damit sind alle elementaren Bestandteile beisammen, die die alten Griechen und Römer unter den Bacchanalien des Wein- und Rauschgottes verstanden.

Nicht anders auch bei Jancee Pornick Casino. Das Trio aus Köln praktiziert eine eigenartige russifizierte Spielart aus Rockabilly und CountryTrash. Neben der twängenden Gitarre und dem pulsierenden Bass tut sich vor allem die Nichtstimme des Bassisten hervor, die sich anhört, als hätte er zu viel mit Vitriol gegurgelt. Ein abgrundtiefes Geraune nahe am Infraschall. Spezialität des Trios ist es, Rock- und Disco-Standards bis zur Unkenntlichkeit zu verunstalten. Nur mit Mühe und nicht geringem Entsetzen identifiziert der Hörer Donna Summers "I feel Love" oder Iron Maidens "The Number of the Beast", als wären es Unfallopfer, identifizierbar allein anhand gerichtsmedizinischer Techniken. Willkommen in der Rock’n’Roll-Geisterbahn!

Zu später Stunde reichten sich Hormonrausch und Regenrauschen die Hand. Fürth in Open-Air-Laune. Schön.

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