Unterm Schlagbaum

16.8.2011, 11:30 Uhr
Unterm Schlagbaum

© Hans Winckler

Dass die Entgrenzung der Welt ihrerseits irgendwann einmal an Grenzen stoßen würde, war klar. Die Frage war nur noch, wann und wo. Nun hat es also begonnen. Dänemark hat im Juni 2011 unter Missachtung des Schengen-Abkommens die Grenzkontrollen wieder eingeführt. Angeblich aus Gründen der inneren Sicherheit. Aber jetzt seien wir mal ehrlich, wer will schon in Dänemark die innere Sicherheit gefährden? Das Land ist so langweilig, dass es in Terroristenkreisen nur eine Handvoll gewaltbereiter Islamisten kennen, die an den Mohammed-Karikaturen in einer dänischen Zeitschrift Anstoß nahmen. Und auch die schlagen dann lieber in Mumbai zu oder im Jemen oder in Madrid.

Stattdessen drängt sich der Verdacht auf, dass unser nördlicher Nachbar sich mit dem Grenzgang wieder interessant machen wollte. Denn wenn man unter einer Ödnis leidet, die so weit geht, dass nicht mal Al Kaida ein Gramm Sprengstoff an dich verschwenden will, dann machst du dir irgendwann Gedanken über deine Attraktivität. Diese wiederum macht sich zum Beispiel in Touristenzahlen bemerkbar. Man kann getrost rätseln, warum überhaupt jemals nennenswerte Urlauberströme in Dänemark ankamen, aber nun unterstellen wir mal, dass sie — Statistik hin oder her — in den vergangenen Jahren spürbar zurückgegangen sind. Da könnte man nun Millionen und Abermillionen in Werbung und Tourismusförderung stecken, das Meer und den Strand noch sauberer und ökologischer machen, noch buntere Prospekte auf noch umweltfreundlicherem Papier drucken, dazu TV-Spots, virales Marketing im Internet etc., etc. Man kann aber auch an die nostalgische Sehnsucht vieler Menschen appellieren, die Urlaub noch mit Sonnenschein, fremdem Geld und Schlagbäumen in Verbindung bringen. Gut, das Erste war und ist in Dänemark nicht der große Bringer, bei der Währung jedoch haben die Dänen schon vor zehn Jahren eine gewisse Weitsicht bewiesen, indem sie nicht dem Euroraum beigetreten sind und ihre Kronen behalten haben. Somit bleibt das kribbelnde Gefühl, wenn man an einem Bankautomaten plötzlich unbekannte Scheine erhält.

Und jetzt noch die Grenzkontrollen. Das war natürlich ein Geniestreich, der dem Rechnung trägt, was moderne Philosophen und Kultursoziologen schon länger vermuten: Der postmoderne Mensch ist durch die globale Vereinheitlichung seiner Lebenszusammenhänge in einem Spannungsfeld zwischen Einheitsbrei (McDonald’s, Coca-Cola, Beck’s Bier, H&M, Starbucks, Ikea etc.) und scheinbar unbegrenzten (Wahl-) Möglichkeiten (100 TV-Kanäle, 65 Sorten Coffee-To-Go, 40000 Songs auf dem MP3-Player) andererseits so orientierungslos geworden, dass er sich nach klaren und einfachen Strukturen zurücksehnt. Und was kann eine klarere Struktur bieten als so ein Schlagbaum und ein Zöllner, der mit möglichst grimmigem Gesichtsausdruck die Personalausweise oder — noch besser — Reisepässe kontrolliert?

So gesehen, wird es nicht mehr lange dauern, bis sich findige Marketingstrategen auch in Deutschland auf dieses menschliche Urbedürfnis besinnen. Schließlich haben wir auch innerhalb unseres Staatsgebietes Regionen, die auszusterben drohen und deren Zukunft, so es überhaupt eine gibt, nur im Tourismus liegen kann (langweiliger als Dänemark sind sie nämlich auch nicht).

Also nicht wundern, wenn demnächst zum Beispiel Mecklenburg-Vorpommern innerdeutsche Grenzkontrollen einführt, mit Schranken, Zollhäuschen, vielleicht ein paar fantasievollen Uniformen und vor allem mit echten Wagenkontrollen, so wie man sie noch blass aus Zeiten der deutschen Teilung in Erinnerung hat. Die sich langsam aufbauende Anspannung, wenn man in der Schlange vor der Grenze steht, wird dem Urlaub eine ganz neue bzw. alte Erlebnisqualität verleihen — und dann erst die Erleichterung, wenn man ohne Leibesvisitation durchgekommen ist. Da kann selbst mieses Wetter oder eine Algenpest in der Seenplatte dem Urlaub nichts mehr anhaben! Und wenn Mecklenburg-Vorpommern dann auch noch eine eigene Währung einführt, müssen sich die Dänen aber warm anziehen!

 

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