Vergewaltigung in Fürth: Angeklagter noch immer ohne Pass

18.7.2019, 06:00 Uhr
In der Nähe des Quellenstegs und der Uferstadt wurde im November eine Frau vergewaltigt. Schnell galt der Angeklagte als Tatverdächtiger.

© Hans-Joachim Winckler In der Nähe des Quellenstegs und der Uferstadt wurde im November eine Frau vergewaltigt. Schnell galt der Angeklagte als Tatverdächtiger.

Was ist im November 2018 passiert?

Am Morgen des 3. November, einem Samstag, wurde im Wiesengrund, am Rand der Fürther Uferstadt, eine Spaziergängerin von einem Fremden ins Gebüsch gezogen, mit einem Messer bedroht und vergewaltigt. Bei einer günstigen Gelegenheit konnte sie aufspringen und einen Jogger ansprechen, der Vergewaltiger flüchtete. Die Fahndung blieb zunächst ohne Erfolg. Doch die Frau - ihr Alter gibt die Polizei aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes mit um die 50 an - konnte den Mann präzise beschreiben. Eine Angestellte einer Fürther Behörde meldete sich daraufhin bei der Polizei. Der heutige Angeklagte wurde verhaftet. Ein DNA-Abgleich erhärtete den Tatverdacht.

Wie sich herausstellte, war der damals 37-Jährige bereits seit Juli 2018 ausreisepflichtig. Der Fall löste Entsetzen, Empörung und eine politische Debatte aus: Fürths Oberbürgermeister Thomas Jung forderte eine schnellere Abschiebehaft für ausreisepflichtige Ausländer, die schwere Straftaten begangen haben. Von Bürgern bekam er viel Zustimmung, auch die meisten Stadträte und eine Integrationspreisträgerin waren auf seiner Seite, aber das Bündnis gegen Rechtsextremismus und Rassismus, der DGB und der Bayerische Flüchtlingsrat warfen ihm Populismus vor.

Warum lebte der mutmaßliche Täter noch in Deutschland?

Der Angeklagte wurde in Fürth geboren, besitzt aber die türkische Staatsbürgerschaft. Nach mehreren schweren Straftaten wurde ihm bereits 2016 - da saß er wegen Gewalt- und Betäubungsmitteldelikten in Haft - eine weitere Aufenthaltserlaubnis verwehrt. Als er Ende Juni 2018 aus dem Gefängnis entlassen wurde, war er somit ausreisepflichtig. Er gab an, dass sein Pass verschwunden sei, und weigerte sich, Unterlagen für Ersatzpapiere auszufüllen. Die Fürther Ausländerbehörde verhängte Sanktionen - sah jedoch keine Möglichkeit, ihn abzuschieben, weil die Papiere fehlten.

Der Knackpunkt: Jedes Land hat eigene Bestimmungen für die Ausstellung von Passersatzpapieren - und die Türkei verlangt, dass der Antrag eigenhändig vom Betroffenen unterschrieben wird, wie Fürths Rechtsreferent Mathias Kreitinger erläuterte. "Er muss seine Personalien freiwillig angeben oder uns muss ein Identitätsnachweis vorgelegt werden", sagte im November ein Vertreter des türkischen Generalkonsulats in Nürnberg. "Es könnte ja sonst jeder behaupten, dass jemand türkischer Staatsbürger ist."

Wo muss er die Strafe absitzen, wenn er verurteilt wird?

Im Fall einer Verurteilung zu einer mehrjährigen Haftstrafe käme der 38-Jährige in ein Gefängnis in Deutschland. Die Staatsanwaltschaft kann nach sieben Zwölfteln von der weiteren Vollstreckung absehen, tatsächlich bliebe der Mann aber in Strafhaft, bis er abgeschoben werden kann.

Doch es steht auch Sicherheitsverwahrung nach Verbüßung der Freiheitsstrafe im Raum. Was bedeutet das?

Wird die Sicherheitsverwahrung angeordnet, so die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Antje Gabriels-Gorsolke, gilt der Mann als gefährlicher Straftäter - und dann muss nicht nur die deutsche, sondern auch die Bevölkerung in der Türkei von ihm geschützt werden: Eine Abschiebung ist dann nicht möglich.

Warum hat er zwei Pflichtverteidiger?

Die Beiordnung zweier Pflichtverteidiger ist üblich in aufwendigen Verfahren, um abzusichern, dass der Prozess nicht platzt. Derzeit kalkuliert die 1. Strafkammer des Landgerichts mit 18 Verhandlungstagen. Die Anklage wirft ihm neben der besonders schweren Vergewaltigung und Körperverletzung auch einen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz vor - er soll eine Minderjährige dazu gebracht haben, sich an einem Deal mit 15 Gramm Chrystal zu beteiligen.

Wie lief der Prozessauftakt?

Er war bereits nach einer Stunde beendet. Fortgesetzt wird der Prozess am 30. Juli. Die Anwälte wollen bis dahin prüfen, ob die Gerichtsbesetzung korrekt ist. Die 1. Strafkammer tagt mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen. Außerdem sitzt eine Ersatzschöffin im Saal. Das ist bei aufwendigen Prozessen üblich, damit sie nicht neu aufgerollt werden müssten, falls ein Schöffe wegen Krankheit ausfällt. Der Angeklagte schwieg zum Auftakt.

Ist es inzwischen gelungen, Passdokumente für ihn zu bekommen?

Nein, sagt Fürths Rechtsreferent Mathias Kreitinger. Da der Angeklagte seit November in Untersuchungshaft sitze, könnte er sich aber auch gar nicht zur nötigen Behörde bewegen.

Der Fall führte eine gewisse Machtlosigkeit der Behörden vor Augen. Hat sich daran etwas geändert? Ist es heute leichter, Passersatzpapiere zu beschaffen?

An der rechtlichen Lage und auch an den Voraussetzungen für Abschiebehaft hat sich nichts geändert, sagt Kreitinger. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann hatte im November angedeutet, dass Fürth zu wenig um Unterstützung gebeten habe: Die Ausländerbehörden, betonte er, sollten für die Passbeschaffung die Zentralstelle des Landesamts für Asyl und Rückführungen in Anspruch nehmen.


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Sie schalte man seitdem in vergleichbaren Fällen stets ein, so Kreitinger. Allerdings: Auch das Landesamt müsse die jeweiligen Bestimmungen des Staates erfüllen, der den Pass ausstellen soll. Man stoße daher in schwierigen Fällen weiter an Grenzen, trotz der Zusammenarbeit.

Wie viele ausreisepflichtige Straftäter gibt es eigentlich in einer Stadt wie Fürth?

127.645 Einwohner verzeichnete das Landesamt für Statistik in Fürth im September 2018. Ende 2018 lebten Kreitinger zufolge in der Kleeblattstadt sechs ausreisepflichtige Menschen, die strafrechtlich aufgefallen sind, nicht alle aber wegen schwerer Delikte. Daneben gab es zu dem Zeitpunkt zwei ausreisepflichtige Straftäter, die wegen schwerer Verbrechen in Haft saßen. Sie haben Papiere und werden abgeschoben, nachdem sie die Strafe abgesessen haben.