Versuchsbesuche

3.1.2012, 09:00 Uhr
Versuchsbesuche

© Scherer

Statt einen Tag lang die Welt zu regieren, würde ich gerne mal einen Tag lang Besuche arrangieren. Ich säße in einem kleinen Büro, irgendwo in der Verwaltung, sagen wir, von Neustadt/Aisch oder auf der Gemeinde Obermichelbach, wo niemand auf die Idee kommt, dass ich allmächtig sein könnte. Ich hätte einen Computer vor mir und auf dem Bildschirm wären alle Wesen dieser Welt kleine leuchtende Punkte mit Namen darüber. Und wenn ich auf die Taste tippte, käme einer auf die Idee, einen anderen zu besuchen. Das wäre dann so:

Der Ministerpräsident ist in einem unbeobachteten Augenblick von der Rednertribüne vor der Lorenzkirche verschwunden. Seine Leibwächter fluchen und rennen aufgeregt hin und her, während der Ministerpräsident an der Tür einer Hausmeisterswohnung in Gostenhof klingelt. „Hallo“, sagt er, als der Hausmeister im Unterhemd öffnet, „ich war gerade in der Gegend, und da hab ich gedacht, ich schau mal rein.“ Dann sitzt er auf einem niedrigen, braun-beige karierten Sofa, trinkt schwachen Kaffee und hört etwas verlegen dem Hausmeister zu, der ihm aufgeregt erzählt, dass die Türken immer den Biomüll in die Papiertonne tun und dass es ein Gesetz geben müsste und ob er, der Hausmeister, nicht schnell seinen Cousin Alfred anrufen und rüberbitten könnte, weil er, der Ministerpräsident, hier auf seinem Sofa säße. Und dann würde ich den Ministerpräsidenten so lange in der Hausmeisterswohnung lassen, bis ihn seine Leibwächter gefunden haben. Das würde wahrscheinlich ein bisschen dauern.

Oder ich würde die Frau des Tagesschausprechers gegen acht Uhr abends auf die Idee bringen, nach ihrem Mann zu sehen. Nicht vor dem Bildschirm zu Hause. Sondern richtig. Er sagt eben mit ganz professioneller Stimme: „Guten Abend, meine Damen und Herren, hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit der Tagesschau“, als sie hinter ihm erscheint, das Bild vom Irakkrieg verdeckt und ihm über die Schulter hinweg ein Päckchen auf den Schreibtisch legt. Mitten auf die Papiere. „Du hast wieder dein Brot vergessen, Walter“, sagt sie, auf ihre Weise genauso professionell. Dann gibt sie ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange und rückt mit gewohnter Geste seine perfekt sitzende Krawatte ein bisschen schief. Winkt kurz in die Kamera und geht. Das würde ich machen, wenn ich auf der Gemeinde Obermichelbach vor meinem Computer säße. Ich würde nämlich gerne einmal acht oder neun Millionen Menschen zur gleichen Zeit lachen hören.

Vielleicht würde ich schwach werden. Wahrscheinlich sogar. Es ist schwer, göttliche Macht zu haben und dabei moralisch einwandfrei und politisch korrekt zu bleiben. Ich würde Rache nehmen. Das sähe dann so aus:

Vor dem Nachbarhaus hält mitten in der Nacht ein großer amerikanischer Laster, aus dem 20 bis 30 Leute Marshallverstärker und Lautsprechertürme von der Größe eines Kleinwagens in den Hof bringen und unter dem Fenster des Nachbarjungen aufbauen, der selbst im Winter bei offenem Fenster Techno hört, wodurch jeden Nachmittag das Baby aufwacht. Eine Hardrockband würde dann in voller Besetzung in den Hof schlendern und in breitem Amerikanisch sagen, dass sie auf die Idee gekommen sind, dem lieben Kleinen mal ein Ständchen zu bringen. Dann blasen die ersten Takte von „Highway to Hell“ den Jungen aus dem Bett. Und außerdem zerschlägt Alice Cooper das Mobiliar und wirft die Stereoanlage aus dem Fenster aufs Kopfsteinpflaster.

Und es würde auch so aussehen: Alle Hunde dieser Stadt kommen zur gleichen Zeit auf die Idee, den Mann zu besuchen, der seinen Hund offensichtlich so konditioniert hat, genau immer vor meiner Haustür... also diese Hunde wuseln dann alle im Treppenhaus vor der Wohnung meines Feindes, winseln um Einlass, stehen in Rudeln bis auf die Straße hinunter, ja bis an die Ecke und alle, alle wollen zu ihm. Und in dem Augenblick, in dem mein Feind morgens ahnungslos die Wohnungstür öffnet, um wie immer ungewaschen und in abgelatschten Pantoffeln mit seinem Hund das erste Bier kaufen zu gehen, in diesem Augenblick brechen die glücklichen Hunde vor der Tür über ihn hinein wie eine Welle, vom Treppenhaus und der Straße drängt es nach, die Wohnung wird immer voller, überall sind Hunde, auf dem Sofa, in den Betten und den Schränken, im Bad und in der Küche und die kleine, auf mein Haustor abgerichtete Töle geht für immer unter. Das wäre schön.

So ginge es den ganzen Tag. Ich würde mir immer neue Besuche ausdenken. Und bestimmt auch viel Gutes tun. George W. Bush einen Arabischkurs besuchen lassen, zum Beispiel. Oder alle bedeutenden Journalisten dieser Stadt die Hinterhofvernissage meines unbekannten Malerfreundes. Und natürlich würde ich heimlich Verliebte zufällig vor der Tür ihrer Angebeteten stehen lassen.

Aber um halb fünf, pünktlich um halb fünf, würde ich mein Butterbrotpapier ordentlich zusammenfalten und in die Aktentasche stecken, den Computer ausschalten, aus dem Büro nach Hause gehen und... einen ganzen Abend glücklich sein. Besuchsarrangeur — das wäre ein wunderbarer Beruf.



 

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