Eltern sind verunsichert

Viele Corona-Fälle an Schulen: Deshalb gibt es oft keine Quarantäne

25.10.2021, 12:15 Uhr
Viele Corona-Fälle an Schulen: Deshalb gibt es oft keine Quarantäne

Ob in München, Tutzing, Nürnberg oder in Fürth: Vielerorts ist die Zahl der Corona-Fälle an Schulen stark gestiegen. Vom "ansteckenden Unterricht" schrieb die Süddeutsche Zeitung jüngst. Was sich zugleich unter Eltern ausbreitet, ist Verunsicherung und Unverständnis angesichts von Quarantäne-Regelungen, die als zu lax empfunden werden. Die Unruhe ist so groß, dass sich die bayerische Staatsregierung am Dienstag noch einmal mit dem Thema befassen dürfte.

Beispiel Tutzing (Landkreis Starnberg): Innerhalb weniger Tage waren 14 Kinder an der Grundschule positiv, etliche Familien ließen daraufhin aus Sorge vor Ansteckung ihre Töchter und Söhne zuhause.

Ihre Gefühlslage kennt Torsten Winkler. Seine Tochter besucht eine Grundschule im Fürther Landkreis, seit Anfang Oktober haben sich mindestens fünf Kinder aus der Klasse mit Corona infiziert, sagt er. "Und wir gehen fest davon aus, dass bei einem ,Weiter so‘ leider noch mehr folgen werden."

Dass zunehmend Corona-Fälle entdeckt werden, sei einerseits ja ein Zeichen dafür, dass die Teststrategie funktioniert, findet er. Den Umgang des Staatlichen Gesundheitsamts mit der Situation allerdings könnten er und andere Eltern "in keinster Weise mehr nachvollziehen". Wieso wird, obwohl es mehrere Fälle gibt, nicht die ganze Klasse in Quarantäne geschickt? Warum erreichen Informationen die Familien so spät – bisweilen erst, wenn Quarantäne- und Testfristen schon abgelaufen sind?

Am 13. Oktober, so schildert es Winkler, haben seine Frau und er über das Informationssystem der Schule vom ersten Corona-Fall in der Klasse der Tochter erfahren. In dem Schreiben wurde den Schülern eine tägliche Testpflicht ab dem letzten Kontakt bis zum 13. Oktober (!) auferlegt. Laut Gesundheitsamt wurde die Schule am 11. Oktober informiert.

Die Order lief jedenfalls ins Leere: Mangels Kenntnis seien die Kinder natürlich nicht getestet worden. Es dauerte nicht lang, da waren es fünf Fälle. Die Winklers rechneten nun fest mit Distanzunterricht. Das Amt aber teilte mit: Quarantäne sei nicht nötig, man setze auf die "bewährten" Mittel der täglichen Testung und Maskenpflicht.

Wird hier eine schnelle Durchseuchung angestrebt?

Der Eindruck, der sich Torsten Winkler und anderen aufdrängt: Seitens des Staats werde offenbar darauf hingesteuert, möglichst viele der unter Zwölfjährigen durch eine Corona-Infektion zu immunisieren. Eine schnelle Durchseuchung der Kinder sei erwünscht oder werde zumindest billigend in Kauf genommen.

"Es werden immer mehr mit positivem Ergebnis, eigentlich sollte man die ganze Klasse in Quarantäne schicken", schreibt eine andere Familie aus dem Landkreis den FN, das Kind geht in die Realschule. Sie berichtet: "Am Montag haben sich fünf Kinder von ihren Eltern abholen lassen, weil sie Angst haben, sich anzustecken. Momentan besuchen noch acht Schüler den Unterricht." Ihr Fazit: "Wir als Eltern fühlen uns allein gelassen."

In Zahlen stellt sich die aktuelle Situation in Stadt und Landkreis wie folgt dar: In den vergangenen 14 Tagen wurden bei 73 Schülerinnen und Schülern in Fürth und bei 62 im Landkreis per PCR-Test Corona-Infektionen nachgewiesen, wie das Gesundheitsamt auf FN-Nachfrage mitteilte. Bei 14 Mädchen und Jungen steht nach einem positiven Schnelltest noch das PCR-Ergebnis aus. Die meisten Fälle gab es in diesem Zeitraum an der Realschule Langenzenn (14) und am Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium (13).

Die Unsicherheit unter den Eltern ist inzwischen so groß, dass das Fürther Gesundheitsamt nun in einer Pressemitteilung die Vorgaben des bayerischen Gesundheitsministeriums dargelegt hat, an die man sich halte. Die Kernpunkte: Bei einem Corona-Fall wird, anders als vor den Sommerferien, häusliche Isolation nur für die Mitschülerinnen und Mitschüler angeordnet, die sich in der Nähe aufhielten – für zehn Tage, wobei sie sich frühestens nach fünf Tagen mit einem negativen PCR- oder Schnelltest-Nachweis freitesten können. Die ganze Klasse wird erst dann heimgeschickt, wenn es einen "Ausbruch" gibt, also mindestens zwei Fälle rasch hintereinander.

Das Problem: Der "Quellfall" zählt

Das Problematische dabei: Die Quarantäne wird immer für zehn Tage ab dem letzten Kontakt zum ersten Fall ("Quellfall") angeordnet, mit der Möglichkeit der Freitestung nach fünf Tagen. Dieses Zurückrechnen bedeutet auch: Folgefälle ziehen oft keine Isolierung mehr nach sich, da der Zeitraum bis zur Freitest-Option in der Vergangenheit liegt. Bei Folgefällen, die erst später auftreten, wird die Quarantäne für die Klasse nicht automatisch verlängert, bestätigt das Gesundheitsamt.

Begründet wird die Vorgehensweise damit, dass nach dem Bekanntwerden des ersten Corona-Falls für alle wieder Maskenpflicht am Sitzplatz gilt (mindestens für 14 Tage); somit gebe es eigentlich keine engen Kontaktpersonen mehr (eine Ausnahme sind Kinder, die sich privat getroffen haben). Mit Masken- und ergänzender Testpflicht (mindestens fünf Tage) sollen Folgefälle früh erkannt und weitere Ansteckungen vermieden werden. Masken müssen Bayerns Schüler seit einigen Wochen sonst nicht mehr im Unterricht tragen.

Nur an Schulen, an denen man ein ungewöhnlich heftiges, klassenübergreifendes Infektionsgeschehen beobachtet "und die anderen Maßnahmen keinen Erfolg haben", könne das Gesundheitsamt einschneidendere Regelungen treffen.

Hintergrund sei das Ziel der Politik, den Unterrichtsbetrieb möglichst lange aufrechtzuerhalten und damit allen Schülern den Zugang zu Bildung zu ermöglichen, erklärt ein Sprecher der Behörde. Auf FN-Nachfrage bestätigt ein Sprecher des Kultusministeriums: "Präsenzunterricht ist die oberste Maxime." So lange es verantwortbar scheine, soll er stattfinden. Allerdings müsse das Infektionsgeschehen an den Schulen im Auge behalten werden.

Die Frage, ob sie nachjustieren muss, dürfte die Staatsregierung auf jeden Fall beschäftigen, wenn sie sich am Dienstag mit der am 29. Oktober auslaufenden Infektionsschutzmaßnahmenverordnung befasst. Am heutigen Montag sollen die Schulen dem Kultusministerium den Anteil der positiv getesteten Schüler melden.

Dass stets der letzte Kontakt zum "Quellfall" zählt, Folgefälle quasi "ignoriert" werden – das findet auch Claus Binder, Rektor der Mittelschule Soldnerstraße, schwer nachvollziehbar. Umso mehr, wenn Eltern mit Verzögerung vom Corona-Fall erfahren. "Sie sind überrascht, wenn sie lesen, dass ihr Kind schon tagelang in Quarantäne sein sollte" – während es in die Schule ging und sich mit Freunden traf. Die Belastung des Gesundheitsamts sei sicher hoch, so Binder, die Familien müssten aber schneller informiert werden.

Wenn der PCR-Test spät gemacht wird

Die Behörde verteidigt sich: Man versende die Elternbriefe so zeitnah wie möglich an die Einrichtungen, die sie dann weitergeben. In Einzelfällen könne es jedoch dazu kommen, dass Tag fünf (Freitest-Option) bei Bekanntwerden des Falls schon verstrichen ist. Etwa wenn kranke Kinder erst Tage, nachdem sie zuletzt in der Kita oder Schule waren, einen PCR-Test machen.

So sei es im Fall der oben erwähnten Realschule gewesen: Das kranke Kind besuchte den Unterricht zuletzt am 5. Oktober, machte den PCR-Test aber erst am 9. Oktober, der Befund lag am 11. Oktober vor. Am 12. Oktober trat man in Kontakt mit der Schule. Weil es inzwischen zwei weitere Fälle gab, sei Klassen-Quarantäne angeordnet worden, allerdings rückwirkend für die Zeit vom 5. bis zum 15. Oktober. Die Briefe an die Eltern gingen am 13. Oktober raus . . .

Ähnliches hat man an der Soldnerschule erlebt. Rektor Binder bekommt mit, dass die Verunsicherung wächst, teils Lehrkräfte den Ärger abbekommen. Hinzu kam noch, dass angesichts der neuen Test-Regelungen auch in den Testzentren nicht alles rund lief, Kinder irrtümlich weggeschickt wurden. "Ich war ordentlich am Telefon diese Woche, und eigentlich brauchen wir das nicht", sagt der Schulleiter.

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