Von der Begrenztheit des Schreibens

7.9.2011, 11:00 Uhr
Von der Begrenztheit des Schreibens

© De Geare

Ich wollte einen Apfelbaum malen. So fing diese Geschichte an. Ich hatte einen Ferientag (typisch Lehrer!) damit verbracht, zwecks Vervollständigung meiner Bildung die Münchener Neue Pinakothek zu durchschreiten, und ich hatte mich dadurch angeregt und inspiriert gefühlt — also wollte ich einen Apfelbaum zeichnen.

Wohlgemerkt — ich wollte ihn zeichnen, nicht beschreiben, obgleich Letzteres eher mein Fach ist.

Ich habe Kunst in der Schule so schnell wie möglich abgelegt, da mir gerade diese Stunden größere Pein bereiteten als alle anderen, sogar Mathematik, und auch — man glaubt es kaum — schlechtere Noten. Diesen Moment, als der Kunstpädagoge hinter mir stand, mein Bild betrachtete, welches ich ausnahmsweise für gelungen hielt, und mit pädagogisch bedingter Freundlichkeit fragte, ob ich nicht noch einmal neu anfangen wolle, den werde ich nie vergessen.

Dennoch hatte ich vor, den Apfelbaum auf Papier zu zeichnen und ihn nicht mit Worten festzuhalten — quod erat demonstrandum. Ungewöhnlich, doch es hatte seinen Grund: Ich fand den Baum schön. Und zwar einfach nur das.

Schlichte Schönheit kann man in der Moderne mit Worten nicht mehr ausdrücken. Die Darstellung von etwas Schönem ist am ehesten in Malerei und Bildhauerei denkbar, die beide nur den Moment zeigen. Etwas Geschriebenes, das vorderhand aus Handlung besteht, verlangt aber immer nach einem Mehrwert, nach Offenlegung und Kritik — Kunst konstruiert, Schreiben dekonstruiert, sogar wenn es konstruiert. Diese Theorie mag auf einem amateurhaften Verständnis von Kunst fußen, siehe oben, aber die einzigen Ausnahmen, die sich machen ließen, wären abstrakte Kunst oder Heftchen-Kitsch. Nun sind die Kontakte zwischen Malerei und Dichtung schon seit Jahrhunderten in der geisteswissenschaftlichen Diskussion, und ich wollte einen Apfelbaum zeichnen, keinen Laokoon — also zur Praxis.

Von einem Bild erwartet jemand wie ich, dass es gefällt. Vielleicht, dass es einen befriedigt, wenn man einen bestimmten Malstil erkennen kann.

Wenn ich dagegen von einem Apfelbaum schreibe, erwarten Sie, dass ich die Marodität der modernen Gesellschaft daran zeige, und zwar in fließenden, langgliedrigen Sätzen, formvollendet in der Wortwahl, klar in meinen Beobachtungen, pointiert im Ausdruck und nicht ohne eine gewisse Prise Humor.

Lässt sich die Grenze überwinden, die Literatur — wenn sie gut ist — mit Reflexion verbindet und von der reinen Schönheit trennt?

Malen kann ich einen Apfelbaum, wie es mir gefällt: Je mehr Abendsonne, desto besser, und je rotglänzender der Apfel, desto eher ist dem Bild der Platz über einer Couch gesichert. Nur, ich kann das eben nicht, Skizzen haben es bewiesen. Muss ich den Baum also doch beschreiben, führt das zu folgenden Problemen:

Erstens. Ich beschreibe einen Apfelbaum, seinen geraden Stamm, die frische Grüne seiner Blätter, das kräftige Rot der Äpfel, den Wipfel, der mit einem gewissen Stolz Wind und Wetter trotzt — das stellt in etwa das Sujet dar; ich könnte es dann noch in Reimen tun, das ist charmant und man kann es sich besser merken.

Geht aber nicht. Für einen normalen Leser ist es zu langweilig, und der literarhistorisch gebildete Leser sieht am Ende noch eine versteckte Beschönigung der dunkelsten deutschen Zeit, hervorgerufen durch die Adjektive „frisch“ und „kräftig“, die Betonung des „geraden Stamm“ und das aggressive Verbum „trotzen“ in der Schlusszeile. Ganz sicher nicht, was ich sagen möchte, so ich etwas sagen wollte.

Und dann ist da, zweitens, noch die Frage nach dem Hintergrund — Malerei und Dichtung überschneiden sich hier sogar ein wenig.

Stelle ich meinen Apfelbaum in einen kleinen, sonnigen Bauerngarten, mit einem Austragsbauern auf dem Bänkchen dahinter, der lachend seine Pfeife schmaucht, ist es Kitsch.

Stelle ich ihn in einen Bauerngarten, und der Bauer hält sich daran fest, weil er aus der Kneipe kommt, wo er sich seit heute Morgen um neun Uhr dem Trunk ergeben hat, und ruft er lallend nach seiner Frau, die ihm aufgrund der physischen und psychischen Enge der Verhältnisse nur stotternd antworten kann, ist es Naturalismus, und das will keiner sehen.

Beschreibe ich das Bäumchen in der Dämmerung, am besten bei Sturm, und gelingt es mir, ein abenteuerliches Grimm’sches Märchen von einem von seiner Liebsten scheidenden Bauernsohn (der dann in der Fremde unter einem weiteren Apfelbaum stirbt) einzuflechten, ist es romantisch, und ich fürchte, das haben wir hinter uns.

Am sichersten wäre ich mit dem Dadaismus (niemand erwartet eine tiefere Bedeutung), aber mit „Ap Ap Ap, fel fel, maub maub“ lässt sich der Baum im Garten kaum adäquat erfassen, da wäre meine Zeichenskizze ja noch besser.

Ja — und wenn ich ihn in einen Berliner Vorort stelle, ein halb geleertes Kondom wie einen Stern an seiner obersten Spitze befestige, den Stamm als „marode und morsch“ bezeichne und die Äpfel den Wurm haben, ja dann ... sind wir (wie auch immer man das später einmal nennen wird) in der modernen Gesellschaft angekommen, sind aktuell, religionskritisch, weisen auf Probleme und gesellschaftliche Phänomene hin und zeigen uns politisch — insbesondere, wenn im Hintergrund gerade ein Auto abbrennt. Das nennt man „Metapher“. Hätte ich doch einfach ein Bild gemalt.

Was bleibt? Ein Karton trauriger Buntstifte, die sich gefreut hatten, einen Apfelbaum zu zeichnen. Ein erschöpfter Bleistift, der vier Seiten vollschreiben musste, obgleich er nur für Skizzen geeignet ist.

Und eine Autorin, die eingesehen hat, dass sie trotz allem bei ihren Wörtern bleiben muss und das Zeichnen besser ihrem Neffen überlässt. Der malt gerade vier große rote Äpfel an einen grünen Baum. Wirklich schön.

 

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