Wenn das Dach einbricht

16.4.2013, 09:11 Uhr
Wenn das Dach einbricht

© Winckler

Cal hatte Fieberträume gehabt. Entsprechend müde und schlecht gelaunt empfing sie ihren Besucher, der erst kam, nachdem er sich vergewissert hatte, dass der Gatte gegangen war. Ein wenig nervös stand er herum und wartete, bis sie das Wohnzimmer betrat.

„Und?“, fragte sie leise, „wie sieht es aus? Ist es wahr? Ist das Kind von ihm?“ Der gut aussehende junge Mann zuckte die Schultern. „Man sagt so. Aber du brauchst dir keine Gedanken zu machen. So lange er es nicht anerkennt, erbt es auch nicht.“

„Diese Ausländerschlampe“, zischte sie leise, aber eher resigniert als wütend, „aber er kann nichts dafür. Alles ihre Schuld.“ Sie sah ihren Gast wie um Verständnis bittend an. „Es tut mir leid. Ich hatte Fieber. Schlecht geträumt. Du weißt, wie man eben so träumt, wenn man fiebert. Dass das Dach einbricht, während er seinen Kopf auf meinem Schoß hat.“ – „Träume sind Schäume“, sagte ihr Gast leichthin, „aber vielleicht sollte er heute tatsächlich nicht zu Hause bleiben. Man weiß ja nie.“ Die Frau ging nervös auf und ab. „Denkst du?“, fragte sie zweifelnd. „Ich dachte eher, es hat etwas mit unserer Ehe zu tun. Was soll das anderes bedeuten, wenn er den Kopf in meinem Schoß hat und das Dach über uns einbricht?“ Ihr Gegenüber hatte kaum zugehört.

„Cal“, sagte er jetzt, „ich muss jetzt gehen, wirklich.“ Er zögerte einen Augenblick. „Ich ... wir haben heute eine sehr wichtige Sitzung. Wo ist er denn jetzt überhaupt?“ Sie lachte nervös. „Bei ... na ja, bei einem Wahrsager. Er wollte nicht“, verteidigte sie hitzig ihren Mann, „ich hab’ ihn gezwungen. Wegen des Traumes.“

Ihr Besucher warf den Kopf nach hinten und lachte frei heraus. „Oh, Cal. Du bist so ... so naiv.“ Calpurnia wurde rot. Er streckte spontan die Hand aus und strich ihr über die Wange. „Er ist ein guter Mann“, sagte sie fest, „wirklich.“

„Ich muss los“, sagte ihr Gast und zog den Mantel über die Schultern. Es war erst Mitte März und noch sehr kühl. „Vielleicht hole ich ihn beim Wahrsager ab“, sagte er milde spöttisch.

Sie begleitete ihn zur Tür. „Ach“, sagte sie, als er das Haus verließ, und er drehte sich um. „Ja?“, fragte er höflich. Sie zögerte, dann sagte sie schnell und verlegen: „Pass auf ihn auf, Brutus, ja?“ Er sah ihr lächelnd in die Augen, dann antwortete er freundlich und ohne Herablassung: „Natürlich, Cal.“



 

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