Wenn das eigene Kind kriminell wird

10.1.2019, 17:00 Uhr
Wenn Jugendliche vor Gericht stehen, ist besondere Verantwortung gefragt. "Milde zahlt sich aus", sagt Werner Gloss.

© News5 Wenn Jugendliche vor Gericht stehen, ist besondere Verantwortung gefragt. "Milde zahlt sich aus", sagt Werner Gloss.

Wenn das eigene Kind kriminell wird

© Harald Ehm

Die sogenannte Dunkelfeldforschung, die Erkenntnisse über das Gesamtaufkommen bestimmter Straftaten gewinnen will — also über die Zahlen hinausgeht, die der Polizei bekannt sind —, spricht davon, dass 95 Prozent aller Jugendlichen irgendwann einmal kriminell werden. Deckt sich das mit Ihren Erkenntnissen, Herr Gloss?

Werner Gloss: 95 Prozent, diese Zahl erscheint mir fast etwas geschönt zu sein. Man muss davon ausgehen, dass so gut wie jeder Junge und fast alle Mädchen in ihrer Jugend gegen das Gesetz verstoßen.

 

Das kling fatal. Wie ist das zu werten?

Gloss: Man muss sich eines vor Augen halten: Das Strafrecht ist von Erwachsenen für Erwachsene geschrieben. Demnach ist beispielsweise Schwarzfahren eine Straftat. Das klingt harmlos, dennoch will ich das nicht relativieren: Auch der Schwarzfahrer nimmt sich ein Recht heraus, das ihm nicht zusteht. Und auch eine kleine Straftat bedeutet ein moralisches Versagen des Täters. Regelverletzungen und Verstöße gegen Normen gehören zur Jugend. Jugendliche wollen alles anders und besser machen als ihre Eltern. Sie stellen Regeln und Grenzen infrage und kommen dabei fast zwangsläufig einmal vom rechten Weg ab. Eine makellose Biografie gibt es diesbezüglich nicht.

 

Wie also sollen Eltern reagieren, wenn der Fall der Fälle eintritt?

Gloss: Eltern sind Begleiter ihrer Kinder. Das heißt, wenn etwas passiert, sollen sie präsent und beispielsweise bei der Vernehmung durch die Polizei auf jeden Fall dabei sein. Eltern sind aber nicht die Regler und Entscheider. Mit 14 Jahren ist jeder straf- und prozessmündig. Der Strafprozess ist der des Kindes, das auch die Suppe selbst auslöffeln muss.

 

Trotzdem, noch einmal konkret gefragt, wie gehe ich mit meiner Tochter oder meinem Sohn, wie mit der gesamten Situation um?

Gloss: Eltern sollten die Ruhe bewahren und versuchen, vor wichtigen Entscheidungen Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Es geht darum, sich über den Sachverhalt schlau zu machen, ihn zu bewerten und einzuordnen.

 

Woher weiß ich, ob es sich um einen einmaligen, pubertären Ausrutscher oder um mehr handelt?

Gloss: Genau um diese Frage geht es: Befindet sich das Kind nur in einer schwierigen Phase oder hat es tatsächlich ein Problem, an dem man gemeinsam arbeiten muss. Vorfälle müssen besprochen und geklärt werden.

 

Eltern fällt das oft nicht leicht.

Gloss: Es gibt sicher einen gewissen Prozentsatz, aus meiner Erfahrung heraus würde ich 20 bis 30 Prozent schätzen, die hilf- und sprachlos sind. Sie brauchen Rat und Unterstützung von Verwandten, Freunden, aber auch Profis, wie etwa Mitarbeitern des Jugendamtes.

 

Was sollte man als Mutter oder Vater auf jeden Fall vermeiden?

Gloss: Eltern dürfen die Schuld für die Tat ihres Kindes nicht bei sich suchen. Jeder Mensch macht Fehler, auch der eigene Sohn oder die eigene Tochter. Falsch ist es aber in jedem Fall, die Tat zu verharmlosen oder andere Dinge dafür verantwortlich zu machen. Eltern wollen so, durchaus nachvollziehbar, ihre Kinder schützen. Aber das ist nur ein Verschiebebahnhof der Verantwortlichkeiten.

 

Ist Ihr Buch ein Ratgeber?

Gloss: Ursprünglich war es so geplant. Das Buch soll natürlich Tipps geben, wie ich mit einer Straftat und deren Konsequenzen umgehe. Aber es ist auch eine grundsätzliche Darstellung des Jugendstrafrechts.

 

Wie würden Sie das deutsche Jugendstrafrecht beurteilen?

Gloss: Es ist im Vergleich zu anderen Ländern milde, im Mittelpunkt steht der Erziehungsgedanke. Das bedeutet, der Jugendliche soll aus seinem Fehlverhalten lernen und danach am besten nicht mehr straffällig werden. Dabei zahlt sich Milde aus. In Russland beispielsweise geht die Justiz mit Jugendlichen viel ruppiger um. Aus meiner Zeit als Jugendkontaktbeamter im Landkreis Fürth weiß ich: Das hinterlässt sehr oft seelisch verkrüppelte Menschen. Wer große Schuld auf sich geladen hat, kommt natürlich auch in Deutschland nicht um eine Haftstrafe herum. Man muss sich aber immer vor Augen halten: Kriminelle Karrieren entstehen oft erst im Gefängnis.

Auf Abwegen – Wenn Jugendliche kriminell werden, von Werner Gloss, ISBN 978-3-96289-017-9.

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