Wie sich Robert Schopflocher an Fürth erinnerte

25.1.2016, 12:00 Uhr
Besuch in Fürth: 2011 las Robert Schopflocher an einem vertrauten Ort seiner Jugend, der heute die Comödie beherbergt.

© Martin Bartmann Besuch in Fürth: 2011 las Robert Schopflocher an einem vertrauten Ort seiner Jugend, der heute die Comödie beherbergt.

„Obwohl ich in den vergangenen 25 Jahren so oft Fürth besucht habe, dass es mir schwer fällt, die Anzahl der Besuche nachzurechnen, und obwohl ich durch eine Vielzahl von unsichtbaren Fäden selbst in Argentinien mit meiner Urheimat verbunden bleibe, hat sich diese in meinem Kopf nicht verändert, seit ich sie im Alter von 14 Jahren verließ, um mein langes Exil anzutreten.

Trotz der Korrekturen, die mein inneres Bild vom Fürth der Gegenwart erfahren hat, wo doch der Ludwig-Donau-Main-Kanal längst zugeschüttet ist und Fürth mit Nürnberg durch die U-Bahn verbunden ist, wo man vergeblich den Wittelsbacher Brunnen oder die Hauptsynagog’ sucht. Wo ich in meiner Erinnerung trotz aller zeitlichen und räumlichen Entfernung noch immer Schlittschuh auf dem zugefrorenen Kanal laufe und die Elektrische bimmelnd durch die Straßen fährt.

Eine verklärte Welt der Kindheit, in der ich weiterhin ein- und ausgehe, die durch meine Erzählungen schimmert, obwohl die meist in Südamerika beheimatet sind. Wie könnte ich diese Traumwelt missen?

Eher möchte ich vom ,Nicht-Vermissen‘ reden, von der Erinnerung, auf die ich gerne verzichtet hätte. Gespenster, die unsere Kinderwelt bedrohten, weil sich trotz vieler humanistischer Ansätze ein demokratischer Geist erst nach den bitteren Erfahrungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchsetzen konnte.

Ich muss an die damalige Deutsche Pädagogik denken, wo Pestalozzi, Fröbel, Montessori und Freud selten bemüht wurden, wo man bereits im Kindergarten die kleinen Missetäter zu ihrer Schande in die Ecke stellte. Wo das Rohrstöckle ,Tatzen‘ auf die ausgestreckten Hände verteilte und auf die stramm gezogenen Hosen der ,Übergelegten‘ niedersausten.

Warum kann ich das vor Scham und Schmerz verzerrte Gesicht eines etwa achtjährigen Klassenkameraden nicht vergessen, dessen Hintern vom an und für sich gutmütigen Lehrer Herrn W. bearbeitet wurde, weil er bei einem Diktat beim Wort ,Schweißtropfen‘ aus Versehen das w ausgelassen hatte? Eine giftige Saat der Gewalt also, die, als sie in der Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts aufging, Millionen und Abermillionen in den Tod riss.

Man sollte also sehr genau aufpassen, welche Geister man durch die Pforten der Erinnerung schlüpfen lässt und welchen man die Gnade der Vermisstmeldung angedeihen lassen soll. Eine Selektion, bei der wir mit dem guten Willen der Nachgeborenen rechnen dürfen, deren ausgestreckte Freundeshand wir dankbar ergreifen.

Zusammenfassend: Was ich wirklich vermisse? Das ist mein Färdd mit seinem anheimelnden Geruch, den vertrauten Lauten seiner Heimatsprache (mit seinen weichen und harten Tes und Des, Pes und Bes) und dem unvergessenen Flair, das meine Kindheit prägte."

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