Wiedergeburt am Samstagabend

9.4.2013, 09:33 Uhr
Wiedergeburt am Samstagabend

© privat

Einmal so cool sein wie John Travolta. Ich bin 13 und das ist mein größter Traum. Gerade verlasse ich das Kino zusammen mit meinem besten Freund Chris. Ich habe immer noch den Sound dieses Films im Ohr und summe „staying alive“ vor mich hin. Chris und ich sind mächtig stolz, dass wir uns „Saturday Night Fever“ anschauen konnten, obwohl der ja erst ab 16 ist. Aber Chris’ Vater arbeitet im Kino und da hat er uns reingelassen. Auf dem Heimweg versuchen wir, so federnd zu laufen wie John Travolta als Tony Manero. Dabei singen wir „hahahaha staying alive staying alive“.

Am Abend liege ich in meinem Bett und träume davon, so tanzen zu können wie John Travolta, um damit die Mädchen und vor allem Tanja aus meiner Klasse zu beeindrucken. Sie ist das hübscheste Mädchen in der Klasse und jeder Junge möchte mit ihr gehen. Ich schließe die Augen und sehe, wie sich ein Mädchen nach dem anderen an mich heranmacht und ich sage nur. „Tut mir leid, aber du bist echt nicht mein Typ.“ Ich bin ja so cool.

Der nächste Morgen ist ernüchternd. Ich mache mich für die Schule fertig. Aus dem Spiegel sieht mich ein ganz normaler Junge mit 13 Jahren an, ein bisschen dicklich und einige Pickel hat er auch. Irgendwie sieht er gar nicht aus wie John Travolta. Ich lächle gequält, putze mir die Zähne, ziehe mich an und gehe zum Frühstück.„Mama, kann ich heute schon mein Taschengeld bekommen?“ „Warum das denn?“, fragt sie mich und gießt mir Tee ein. „Ich will mir halt was kaufen.“, quengle ich. „Und was soll das sein?“ „Die neue Platte von den Bee Gees, kennst du ja eh nicht.“ „Aber das Geld muss dir bis zum nächsten Mal reichen. Nicht dass du in zwei Wochen wieder kommst. Ja?“ „In Ordnung, danke.“

Nach der Schule schaue ich im Plattenladen vorbei und da steht sie. Begeistert nehme ich die Platte aus dem Regal und bezahle. Zu Hause lege ich sie sofort auf. Und da ist es wieder „staying alive“. Die Bee Gees mit ihren hohen Stimmen und dieser Beat. Der geht sofort in die Beine. Ich versuche, den Text mitzusingen. Irgendwie verschlucken die doch andauernd irgendwelche Silben.

Mein Englisch ist lausig und ich singe einfach irgendwas vor mich hin. Immerhin ist meine Stimme genauso hoch wie die von Robin Gibb. Der Beat reißt mich mit und ich fühle mich wie John Travolta. Ich bewege meine Hüften zur Musik hin und her und mir geht’s gut. „Hahahaha staying alive staying alive.“

Da kommt meine Schwester ins Zimmer und prustet laut, als sie mich so sieht. „Was machst du denn für Verrenkungen?“ „Hau doch ab, du blöde Ziege.“ Sie schüttelt den Kopf. „Chris hat gerade angerufen und ich soll dir ausrichten, dass nächsten Freitag eine Klassendisco ist. Jeder soll sich eine Verkleidung ausdenken. „Und warum sagt er mir das nicht selber?“ „Vielleicht wollte er einfach mit mir ein wenig plaudern?“, antwortet sie und lächelt mich ganz seltsam an. „Er hat mich übrigens auch zu der Fete eingeladen und ich habe zugesagt.“ Ich seufze.

„Und, gehst du hin“, fragt sie mich? „Ich denke schon. Ich weiß auch schon, wie ich mich verkleide.“ „Wie denn?“ Und da erzähle ich ihr von meinem neuen Lieblingslied und meinem Idol. Von Tanja erzähle ich nichts. Da kichert sie schon wieder. „Du als John Travolta? Da musst du schon aber noch ein bisschen üben.“ Ich grinse schief. „Okay, pass auf“, sagt sie als sie mein Gesicht sieht. „Ich helfe dir. Schließlich will ich mich ja auf dem Fest nicht mit dir blamieren.“ Ich seufze wieder. „Du brauchst die passende Kleidung. Und es schadet auch nicht, wenn du die nächste Zeit weniger Schokolade isst.“ Ich hasse sie. „Lass mal sehen, wie du dich so bewegst“. Ich laufe im Zimmer auf und ab. „So wird das nichts.“, meint sie. „Du brauchst Musik. So jetzt versuch‘s nochmal.“

Ich gehorche und federe schon besser. Der Discosound geht mir direkt in die Beine. „Okay, daran müssen wir noch arbeiten.“ Und wir arbeiten daran. Fiebrig üben wir jeden Tag gehen und tanzen. „Lass den Oberkörper gerade, wenn du die Hüften bewegst“, kommandiert sie mich. „Und wenn du eine Drehung machst, musst du einen Punkt fixieren. Schau wie ich das mache. So und jetzt den Arm nach oben. Immer schön im Takt bleiben.“ „Na, ja“ sagt sie, „es wird schon irgendwie schiefgehen.“

Schließlich ist es so weit. Heute ist der entscheidende Tag. Ich bin echt aufgeregt. Ich ziehe das enge Hemd an und die Schlaghose. Am Ende fahre ich mir mit dem Kamm durch die Haare. Die Disco findet in unserem Klassenzimmer statt. Die Mädchen sitzen kichernd auf der einen Seite, die Jungen haben sich in einer Ecke versammelt. Verstohlene Blicke werden gewechselt.

Da legt Wolfgang die erste Platte auf und vereinzelte Tanzpaare bilden sich. Chris hat sich gleich meine Schwester geschnappt. Da steht Tanja. Sie unterhält sich mit einer Freundin und schaut immer wieder zu mir herüber. Ich gehe zu Wolfgang und flüstere ihm ins Ohr, er soll doch bitte „Staying alive“ auflegen. Der grinst und nickt. Da nehme ich meinen ganzen Mut zusammen, gehe zu Tanja und fordere sie auf. Ihre Augen blicken mich an und sie nimmt meine Hand. Geschafft. Wir gehen in die Mitte des Raumes und da fängt das Lied an. It‘s showtime.

Ich fühle mein Herz wild pochen. Der Sound hat meinen ganzen Körper erfasst. Er fährt mir aber nicht in die Beine, sondern in die Brust. Es fühlt sich überhaupt nicht an wie zu Hause. Ich fühle mich nicht gut. Der Beat drückt mir auf die Brust. „staying alive staying alive“ Ich stehe steif und kann mich nicht bewegen. Plötzlich liege ich am Boden und da ist jemand über mir. Tanja? Ihr Gesicht löst sich vor meinen Augen auf. Der ganze Raum verschwindet. Und da ist immer wieder dieser Druck auf meinem Brustkorb.

Ich schließe die Augen. Als ich sie wieder öffne, liege ich auf der Straße vor meinem Haus. Über mir sehe ich das Gesicht eines Mannes. Ich fühle das Gewicht seines Körpers auf mir. Seine Hände drücken auf meinen Brustkorb im Takt von...ich kann es nicht fassen...von „Staying alive“. Als er erkennt, dass ich die Augen geöffnet habe, hört er mit der Herzdruckmassage auf. „Der Patient atmet.“

Er nimmt meine Hand und fühlt den Puls. „Der Puls ist normal“, ruft er irgendwem zu. „Wie heißen Sie?“, fragt er mich. „Stephan König“, antworte ich. „Welchen Tag haben wir heute, Herr König?“ „Donnerstag, glaube ich.“ „Wie heißt Ihre Frau?“ „Tanja“, stammle ich, „Tanja König.“ „Willkommen zurück im Leben, Herr König“, sagt er und lächelt. „Sie sind vor Ihrem Haus zusammengebrochen. Sie hatten Glück, dass Ihre Frau sie gefunden hat.“ „Würden Sie bitte das Lied noch einmal spielen“, frage ich.

 

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