Wilhermsdorf statt Massachusetts

16.4.2020, 06:54 Uhr
Wilhermsdorf statt Massachusetts

© Heinz Wraneschitz

"Ein so abruptes Ende ist ziemlich hart. Keiner hatte damit gerechnet." Melanie Riner gibt zu, dass sie "komplett in Tränen ausgebrochen ist", als sie erfuhr, dass ihr Austauschjahr des Parlamentarischen Patenschafts-Programms (PPP) weitaus früher endet als geplant.

Das gemeinsame Schreiben der Programmträger aus USA und Deutschland – dem US-Außenministerium und dem Bundestag – erreichte die Wilhermsdorferin an ihrem Arbeitsplatz in Andover (Massachusetts). Die Organisatoren teilten mit: Die für den Austausch verantwortlichen Organisationen werden sich "bezüglich der logistischen Vorkehrungen für den frühzeitigen Abschluss des Programms umgehend mit Ihnen in Verbindung setzen".

Kurz darauf kontaktierte Riner die für sie zuständige GIZ, die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Zwei Tage hatte sie danach Zeit, um alle Brücken in den USA abzubrechen: Auto verkaufen, Wohnung und Job kündigen. "Ein verrücktes Ende." Dann musste sie sich in New York in den Flieger zurück nach Deutschland setzen: Die GIZ hatte es geschafft, für alle 75 Teilnehmer des Programms Plätze zu reservieren.

Dabei war Melanie Riner so glücklich gewesen, als ihr PPP-Pate, Ex-Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU), sie vergangenen August in die USA verabschiedete. Sie hatte sich vorgenommen, die im PPP enthaltenen College-Kurse in Marketing und Präsentation zur Verbesserung ihrer englischen Sprachkenntnisse zu nutzen. "Da bin ich jetzt viel sicherer. Ich muss nicht mehr über jedes Wort nachdenken", resümiert sie.

Der US-Aufenthalt bestand aber nicht nur aus Lernen, auch Praktika waren angesagt. Ihr Wissen als gelernte Marketingfachfrau hat sie dort zwar nicht beruflich nutzen können, wohl aber den kaufmännischen Teil ihrer Ausbildung: An ihrem College bearbeitete Riner dreimal drei Stunden pro Woche Anträge für die Freiwilligenarbeit.

Studium im Blick

Der zweite Praktikums-Job als "Assistant Teacher" in einer Preschool, eine Art Kindergarten, nahm am Ende gar 30 Stunden wöchentlich in Anspruch. Aber ob sie die Betreuung von Kindern zwischen sechs Monaten und fünf Jahren für ihren Berufswunsch Berufsschullehrerin weiterbringt? Das weiß Riner nicht zu sagen. Das Studium jedenfalls will sie im Herbst in Erlangen beginnen.

Bis dahin hat sie noch viel Zeit, um über ihren Aufenthalt in den USA nachzudenken – über das "Land mit zwei Fernsehprogrammen: Eines ist für Trump – eines gegen den amtierenden Präsidenten. Oder: In einem Staat sind die meisten Menschen gegen Trump – im Nachbarstaat fast alle für ihn. Diese Zweiteilung spürt man überall", sagt die Stipendiatin.

Dabei war sie sehr froh darüber, in Massachusetts gelandet zu sein. "Mein Host-Dad sagte fünf Minuten nach meiner Ankunft: Wir müssen in diesem peinlichen Land leben, mit Fucking Orange Trump."

Dennoch hat sie sich eine Trump-Wahlparty im Nachbarstaat New Hampshire angeschaut. "30 Minuten Autofahrt und du bist im totalen Trump-Fan-Land. Dort kann man auch Waffen sofort mitnehmen. Massachusetts ist das genaue Gegenteil davon, sehr europäisch."

Was der Stipendiatin auffiel: "Wer denkt, die deutsche Bürokratie ist schlimm, kennt die in Massachusetts nicht." Für ein Bankkonto ist eine behördliche Erlaubnis nötig. Und um ein Auto zu kaufen, benötigt man einen US-Führerschein: Sie musste also den deutschen umschreiben lassen. "Die Behördengänge dafür waren richtig verrückt. Ich musste zweimal extra mit dem Pendlerbus nach Boston , denn man braucht eine beglaubigte Bescheinigung von höherer Stelle", erinnert sie sich kopfschüttelnd.

Trotz der verkürzten Zeit hat Melanie Riner neben Job und College-Studium eine Menge erlebt: "New York, Washington, Urlaub in South Carolina, Florida, Halloween in Boston, Silvester in Las Vegas, Besuch im Freizeitpark Six Flags in New England – Letzteren kennen viele aus einem Computerspiel. Und ich war bei Oma und Opa in Richmond, Virginia." Melanies Vater stammt nämlich aus den USA. Sie hatte freilich noch viel mehr vor. Bis eben dieses abrupte Ende dazwischen kam.

In Quarantäne

Seit Mitte März ist Melanie Riner wieder in Deutschland. Die ersten Wochen verbrachte sie in Corona-Quarantäne bei ihrer Schwester, vor wenigen Tagen ist sie wieder bei ihrem Vater im Zenngrund eingezogen. "Denn meine Wohnung in Markt Erlbach hatte ich ja vor dem PPP aufgegeben." Nun hat sie sich arbeitslos gemeldet, sucht nach einem Job bis zum Herbst.

Ihr Wunsch, nach der Rückkehr mit ihren Freunden zu feiern, fällt vorerst flach. "Die konnte ich noch nicht mal sehen. Jetzt unterstütze ich halt die Lokale hier im Ort": Dort bestellt sie fränkisches oder asiatisches Essen.

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