Zombiemarsch durch die Kneipenmeile

1.4.2014, 09:49 Uhr
Nürnberger Autor auf dem Horrortrip: Ulrich Kulp.

© hvd Nürnberger Autor auf dem Horrortrip: Ulrich Kulp.

Es hatte etwas Gespenstisches. Zwar war es nicht stockdunkel, denn ein voller Mond schien hell und klar auf die Kleeblattstadt herab, aber die Gestalten, die sich da durch die laue Frühlingsnacht bewegten, schienen nicht einmal dieses wenige Licht zur Orientierung zu brauchen. Wie seelenlose Zombies zogen die vielleicht fünfzehn Leute die Gasse entlang, die Augen fast geschlossen, die Mimik starr, die Bewegungen ein wenig zackig. Bewaffnet waren sie mit der Art von Skistöcken wie sie auch Nordic Walker mit sich führen.

Tagsüber hatte man sich an den Anblick der rennen-, radeln- und skatenden hyperaktiven Freizeitvernichter gewöhnt, aber nachts?

Die Gruppe war jedenfalls mit Trainingsanzügen bekleidet und schien tatsächlich einem Freizeitsport nachzugehen. Das Klacken der Stockspitzen auf dem Großsteinpflaster gab dem Ganzen einen getakteten Rhythmus, der nur gelegentlich von Anweisungen des Voranschreitenden unterbrochen wurde. Mit leiser Stimme mahnte der offensichtliche Führer seine Gruppe, sich mehr auf die Schrittfolge zu konzentrieren. „Links, rechts, links rechts“, hallte es militärisch-heiser durch die Nacht.

Ich war irritiert. Mit weit geöffneten Augen starrte ich auf die Gruppe wie sie da auf mich zukam, ohne mich auch nur annähernd als Hindernis wahrzunehmen. Gut, ich ging nicht ganz aufrecht. Der ausgedehnte Bummel entlang der kleinen Freischankflächen vor den Lokalen der Gustavstraße hatte seine Spuren hinterlassen. Ich hatte schnell getrunken. Man weiß ja nicht, ob die Bedienung einen nicht auf einmal sogar noch vor Einbruch der Dunkelheit bittet zu gehen, damit ja niemand gestört wird.

Im Geiste war ich gerade dabei gewesen, eine Petition ans EU-Parlament zu formulieren zur Sicherung einer unter freiem Himmel gelebten Trinkkultur, die, von Gleichgesinnten zelebriert, als unverzichtbarer Ausdruck demokratiestabilisierender Diskussions- und Streitkultur angesehen werden musste — oder so ähnlich — als ich durch einen nicht auszubalancierenden Rechtsdrall gezwungen worden war, rechtwinklig vom Nachhauseweg abzuweichen und in die Schindelgasse einzubiegen. Und da also stakste jetzt eben dieser klackende Zombie-ICE auf mich zu und drohte mich, ohne mit den Wimpern der Passagiere zu zucken, einfach zu überrollen. Fürs Ausweichen war keine Zeit mehr in diesem Stakkato von „links, rechts, links, rechts“.

So gedankenschnell wie noch möglich entschied ich mich für eine halbe Drehung, die mich in die gleiche Richtung brachte wie diesen Nachtzug nach Nirgendwo. Dann versuchte ich, den Schrittrhythmus des Anführers aufzunehmen, um wenigstens ein Stück an der Spitze mitlaufen zu können und dann möglichst bald seitlich auszuscheren — in Sicherheit. Tatsächlich rettete mich die Aktion. Meine Lebensgeister kehrten zurück und damit auch meine Neugier. „Sagen Sie mal“, sprach ich den flotten Mittvierziger neben mir an, während ich durch die Truppe gezwungen wurde, wieder in die Gustavstraße einzubiegen, „was soll das hier?“

„Wir sleepwalken“, antwortete der Führer, eine Spur herablassend, wahrscheinlich weil ich mit meinem nächtlichen Müßiggang so gar nicht in sein sportliches Schema passte.

„Was“, hechelte ich, „ist das nicht ein klassisches Paradoxon — Schlafen und Wandern?“

„Ja, da haben sie schon recht“, antwortete er, jetzt etwas freundlicher werdend. Vielleicht witterte er einen neuen Kunden, denn wie ich jetzt erfuhr, betrieb der eilig ausschreitende Mann ein Fitnesscenter. Ich müsse bedenken, erläuterte er nun jovial, dass man als Geschäftsmann heutzutage Trends nicht hinterherlaufen dürfe, sondern sie setzen müsse. Alle wollten fit sein, müssten dafür aber auch jede Menge Zeit aufbringen. Da sei er auf die Idee gekommen mit dem „Sleepwalking“ — also dem Schlafwandeln mit sportivem Touch. Mondsüchtige seien dabei natürlich im Vorteil, klärte er auf.

Die hole er nachts einfach von zu Hause ab, wenn sie sowieso gerade mit vorgestreckten Armen durch den Garten irrten, oder auf dem Dachfirst herumeierten. „Denen stecke ich die Stöcke einfach zwischen die bereitgehaltenen Finger“, lächelte er mich an, „und ab geht die Post!“ Am nächsten Morgen hätten die solcherart ein gutes Training absolviert und seien zudem ausgeschlafen.

Ein perfektes Angebot für unsere leistungsorientierte Gesellschaft sei das, die sich im Arbeitsalltag allzu lange Pausen für die Fitness einfach nicht mehr leisten könne, die Mitgliedschaft in Fitnesscentern aber sehr wohl. Eine klassische Win-Win-Situation!

In die ein Looser sicher nicht so gut hineinpasst, dachte ich, mittlerweile zwei, drei Schritte zurückgefallen, weil ich Schlafmütze mit dem Tempo der Schlafwandler auf die Dauer einfach nicht mithalten konnte. „Aber“, rief ich dem Winner mit letzter Kraft hinterher, „was ist denn mit den anderen, den Normalos, die nicht schlafwandeln?“ „Hypnose“, hörte ich ihn davoneilend sagen, und während die lapidare Antwort noch in mir nachhallte, zog die gesamte Zombie-Gruppe klackend an mir vorbei.

Wie hypnotisiert starrte ich ihr nach, mit leerem Blick und starrer Mimik. Irgendwie auch wie ein Zombie, dachte ich, leicht erschrocken, und beschloss, mir zur Verdauung dieser unheimlichen Begegnung noch einen hochprozentigen Absacker zu genehmigen — auch auf die Gefahr hin, das Sternenzelt eintauschen zu müssen gegen einen Tresen in einer geschlossenen Anstalt.


 

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