Zwei Leben für den Zobel

21.8.2013, 09:00 Uhr
Zwei Leben für den Zobel

© Pfeiffer

Auf dem großen Tisch in der Werkstatt ist ein Zobel aufgespannt und festgetackert. Ein vielgetragenes Lieblingsstück, das Matthias Geignetter umarbeitet: An Taschen, Ellenbogen und ums Gesäß war der Pelz abgewetzt und zusammengedrückt. Die filzigen Stellen schneidet der Kürschnermeister heraus und ersetzt sie durch Streifen aus den Ärmel.

Eine neue Passform schneidert er seiner Kundin bei der Gelegenheit gleich auf den Leib. „Einen Pelz kann ich immer wieder ändern“, sagt Geignetter. Passend zur Mode, passend zu Alter und Figur, passend zum Geschmack. Und weil das Material so wertvoll ist, fängt ein Kürschner auch mit dem kleinsten Rest etwas an.

Bleibt ein Streifen Fuchs übrig, wird eine Bommel daraus. „Schauen Sie nur das Haarspiel an“, sagt Geignetter und hält Jacken und Mäntel zum Darüberstreichen und Hineingreifen hin. „Fühlen Sie!“ Pelz ist ein sinnliches Material, egal ob Nutria – „Pengertsratz“ sagt der Kürschner salopp – und Lamm, Fuchs oder Nerz.

Seit Jahrtausenden hüllen sich Menschen in Pelz und Leder, Kürschner waren wahrscheinlich die ersten Handwerker der Menschheit. Alternativen dazu gab es damals nicht, wollte man sich vor Kälte und Nässe schützen. Heute ist Bekleidung aus Haut und Haar von Tieren auch eine Glaubensfrage. Nicht für Matthias Geignetter. Die Bisamratte müsse ohnehin bejagt werden, schon um die Hochwasserdeiche stabil zu halten. Außerdem werden allein in Deutschland rund 450000 Füchse geschossen. Ihre Felle auch zu nutzen, das sei ökologisch sinnvoll.

Schick noch dazu. Geschoren, gefärbt, in modisch schmalen Schnitten, Matthias Geignetter holt ein Stück nach dem anderen und breitet sie auf der Theke aus. Schwere Pelze, das geht gar nicht mehr! Also wird das Leder dünner geschabt, die Haare werden gekürzt. Der Pelz wärmt dann bei minus 20 Grad vielleicht nicht mehr gut, kann dafür aber den ganzen Winter über getragen werden.

Der Sommer jedenfalls ist eine tote Zeit für Pelz, die Monate Juni bis August sind für den Kürschner die ruhigsten. „In vier Wochen ist die Hölle los“, sagt er. Wenn es kühler wird, denkt die Kundschaft wieder an wärmende Mäntel. Schon zur Kärwa werden sie manchmal aus dem Schrank geholt.

Bis dahin kann sich der 46-Jährige neuen Modellen widmen – und dem alten Zobel. Fünf Millimeter breite Streifen sind hier geschnitten und feinsäuberlich wieder aneinandergenäht worden, um den Pelz zu strecken und ihm die fließende Form zu geben. So würde man heute nicht mehr arbeiten, sondern großflächiger und mit Mut zur Kante.

Die Grundarbeiten bleiben dieselben: Nach dem Maßnehmen entwirft der Kürschner einen Schnitt und näht eine Probehülle aus Stoff. Eine Mühe, die sich Geignetter gern macht. „Ein Schneider kann immer wieder auftrennen. Die Chance habe ich nicht“, sagt er. Bei der Anprobe überprüft er Linienführung und Bewegungsfreiheit, kann Korrekturen anbringen und schneidet dann zu. Aus einzelnen Fellen oder aber Tafelware, wie bereits zugerichtete Stücke von 60 mal 100 Zentimetern heißen. Dann setzt er sich an die Pelznähmaschine.

Ein gutes Auge

Eine hochkonzentrierte Arbeit. Zwei Streifen werden Fell an Fell gelegt, in die Räder der um 1880 erfundenen Pelznähmaschine geführt, dann sticht die Nadel horizontal ein. Höchstens einen Millimeter darf der Abstand zum Rand betragen, sonst lassen sich die Nähte nicht flachklopfen! Und was ein Kürschner sonst noch alles können muss: das Futter zuschneiden natürlich, stabilisierende Einlagestoffe heften, Knöpfe mit Pelz und Leder überziehen, Reißverschlüsse reparieren und passende Gürtel fertigen. Das Wichtigste in seinem Handwerk jedoch, sagt Matthias Geignetter, ist ein gutes Auge. Für die Figur, für das Material, für den Schnitt. „Dem Auge eine wohlgefällige Linie“ lautete die Devise seines Lehrherren. Und wie macht er das? „Wie sich’s gehört!“

Wie es sich gehört, lernen 20 Schülerinnen in drei Jahrgängen der einzigen Berufsschulklasse in Deutschland. Immerhin: Ihre Zahl bleibt jetzt stabil. Dabei haben die Pelze einen rasanten Niedergang hinter sich. Mindestens zehn Geschäfte gab es in Fürth, erinnert sich Matthias Geignetter, der 1989 das elterliche Geschäft übernahm. Und natürlich Marco-Pelze in der Karolinenstraße, die in der Blütezeit der 1950er bis 1970er Jahre über 1000 Mitarbeiter beschäftigten.

Das ist vorbei. Heute baut Matthias Geignetter auf Stammkundschaft, die aus dem Großraum und bis aus München kommt. Die jüngsten Kundinnen – Männer stellen nur etwa zehn Prozent der Käufer – sind 17 und leisten sich vielleicht eine Bommel oder ein Kuschelkissen, das Gros stellen Damen ab Mitte 40. Sie haben ihren Stil meist schon gefunden, können sich eine Fuchsjacke ab 1000 Euro oder einen schönen Kaninmantel ab 1500 leisten. Nach oben gibt es kein Limit.

„Luxus ist, was ich mir für einen bestimmten Moment leiste“, philosophiert Matthias Geignetter. Dass die edlen Teile, an denen er rund eine Woche lang arbeitet, den größten Teil des Jahres im Schrank hängen, ist so gesehen kein Problem. Und schließlich kann so ein Pelz bei guter Pflege schon einmal 40 bis 50 Jahre alt werden und bleibt, mit kleinen Änderungen, immer modern. Wie der Zobel.

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