Zwischen Chlorhuhn-Angst und Zollbarrieren

19.4.2014, 21:00 Uhr
Die USA und die EU verhandeln über die weltgrößte Freihandelszone.

© Soeren Stache (dpa) Die USA und die EU verhandeln über die weltgrößte Freihandelszone.

Es geht mal wieder ein Gespenst herum in Europa, diesmal in Gestalt eines Chlorhuhns. Müssen wir Europäer Chlorhühnchen aus den USA essen, wenn das Freihandelsabkommen kommt? Der Amerikaner nämlich desinfiziert sein Huhn im Chlorbad, um es keimfrei zu bekommen. Dem Europäer ist das zuwider. Er brät das Hühnchen lieber durch. Ein Chlorhuhn kommt ihm nicht ins Supermarktregal. Das Chlorhuhn, das in den vergangenen Monaten durch die Medien geisterte, ist nur ein Punkt unter vielen, über die auf dem Weg zum Transatlantic Trade und Investment Partnership – kurz: TTIP – verhandelt werden muss. Trotzdem steht es inzwischen beispielhaft für die Angst vor sinkenden Standards bei Lebensmitteln, aber auch in anderen Bereichen, die mit dem Abkommen einhergehen könnten.

((ContendAD))Nicht wenige Menschen in Deutschland lehnen nicht nur das Chlorhuhn ab, sondern das gesamte Freihandelsabkommen. Zu ihnen zählt der Fürther EU-Parlamentarier Thomas Händel (Die Linke). „Das Ding muss gestoppt werden“, sagte er am Mittwochabend bei der Diskussionsrunde im Gewerkschaftshaus. TTIP werde eine „Wirtschafts-Nato ohnegleichen“, wobei der Rest der Welt das Nachsehen hätte. „Alle Debatten über einen fairen Nord-Süd-Handel können wir damit in die Tonne treten.“

Händel fürchtet, dass die Schaffung eines riesigen Markts ohne Schranken auf beiden Seiten des Atlantiks die Macht von Konzernen stärkt. Das werde nicht nur zulasten der Arbeitnehmer gehen, deren Rechte möglicherweise eingeschränkt werden, sondern auch von Staaten. Künftig, so Händel, könnten Konzerne einzelne Länder in Europa verklagen, wenn neue Umwelt- oder Sozialgesetze ihre Gewinnerwartungen schmälern.

Was ihn besonders erzürnt: Obwohl hier die EU verhandelt, bekomme er als Europaabgeordneter kaum Einblick. Erst seitdem sich die Öffentlichkeit seit einigen Wochen zur Wehr setze, flössen spärliche Informationen zum Verhandlungsstand. „Wer so etwas macht, macht Politik gegen die eigene Bevölkerung“, klagt Händel.

Die Journalistin Maike Rademaker, von 2001 bis Ende 2012 Redakteurin bei der Financial Times Deutschland, steht TTIP weit weniger ablehnend gegenüber. 180000 Arbeitsplätze könnten hierzulande entstehen oder gesichert werden, wenn der Handel zwischen EU und USA vereinfacht und damit gestärkt wird. Wegen der existierenden Zollbarrieren hätten viele deutsche Mittelständler keinen Zugang zum US–Markt. Und dass Amerikaner und Europäer ihre Vormachtstellung zementieren wollen, sei ebenfalls nicht anzuprangern. Westliche Werte seien im Vergleich immer noch die bessere Wahl.

Dass die Verhandlungen langsam transparenter werden, sei wichtig, das habe sie aber auch ins Stocken geraten lassen. „TTIP kommt langsamer und nur in Fragmenten“, sagte Rademaker. Einzelne Punkte wie die öffentliche Wasserversorgung seien längst raus aus dem Verhandlungspoker. Rademaker sieht die Verzögerung als „große Chance“. Die Europäer hätten die Gelegenheit, mit ihren „Standards, die sie nicht abschaffen wollen, ein Zeichen zu setzen“, das als Vorbild für andere dienen könnte.

Thomas Händel hingegen glaubt, dass man sich bei den Standards gegenseitig auf ein niedriges Niveau herunterhandeln werde. Als EU-Parlamentarier darf er zwar nicht mitverhandeln, wird aber irgendwann über das fertige Abkommen entscheiden dürfen. Händel zufolge wird das aber nicht vor 2015 der Fall sein.

2 Kommentare