Fünf Jahre Vesperkirche: "Die Altersarmut nimmt zu"

19.1.2020, 05:56 Uhr
Ein Ort, an dem sich Menschen begegnen: Sechs Wochen lang gibt es in der Gustav-Adolf-Kirche täglich ein warmes Essen zum symbolischen Preis für einen Euro. Miteinander dabei in Kontakt zu kommen, zu reden, schätzen viele der Gäste.

© Aslandis Ein Ort, an dem sich Menschen begegnen: Sechs Wochen lang gibt es in der Gustav-Adolf-Kirche täglich ein warmes Essen zum symbolischen Preis für einen Euro. Miteinander dabei in Kontakt zu kommen, zu reden, schätzen viele der Gäste.

Zum fünften Mal läuft in der Gustav-Adolf-Kirche die "Vesperkirche". Für einen Euro gibt es dort täglich ein warmes Essen. Hier sollen sich Menschen begegnen, sagt Pfarrer Bernd Reuther, der das Projekt in Nürnberg ins Leben gerufen hat. Bis zu 500 Gäste kommen am Tag, ein Team aus 40 bis 50 Ehrenamtlichen ist täglich im Einsatz.

Herr Reuther, an wen wendet sich die Vesperkirche?

Bernd Reuther: An alle! Die Vesperkirche soll keine Armenspeisung im edlen Ambiente sein. Sondern ein offener Begegnungsraum für alle. Der eben so organisiert wurde, dass er es vielen Menschen möglich macht, zu kommen.

Es soll der Banker neben dem Obdachlosen speisen. Geht der Plan auf?

Reuther: Das hängt davon ab, wie voll es ist und wie viel Bankmanager sich hereintrauen. Es kommt immer wieder vor, dass besser Gesettelte (gemeint sind "besser Situierte", Anm. d. Red.) hereinspitzen und dann wieder gehen.


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Die Vesperkirche ist im fünften Jahr. Kennt man da die Stammgäste?

Reuther: Ja, die kennt man. Aus einer Umfrage wissen wir, dass wir 20 bis 25 Prozent Stammgäste haben, die bis zu viermal die Woche kommen. Die freuen sich tierisch, wenn es wieder losgeht. Und auch unter den Mitarbeitenden ist es immer ein großes Hallo.

Markenzeichen roter Schal: Pfarrer Bernd Reuther stemmt das Projekt mit seinem Team im fünften Jahr.

Markenzeichen roter Schal: Pfarrer Bernd Reuther stemmt das Projekt mit seinem Team im fünften Jahr.

Neben dem Essen gibt es viele Zusatz-Angebote. Welches wird am besten angenommen?

Reuther: Die längste Schlange ist immer beim Friseur.

Gibt es eine Erkenntnis, die man nach fünf Jahren gewonnen hat?

Reuther: Dass das Thema Altersarmut zunimmt. Das nehmen wir subjektiv wahr. Und dass gerade jetzt, da der Umgangston in der Gesellschaft rauer wird, die Vesperkirche zunehmend wichtig ist. Denn wir betonen hier, dass es Regeln gibt. Sei es beim Anstehen in der Schlange oder bei der Art und Weise zu kommunizieren. Es gilt aufeinander aufzupassen, Rücksicht zu nehmen. Und die eigenen Intuitionen erst mal durch den Kopf laufen zu lassen, ehe man reagiert.

Welche Situationen sind Ihnen besonders Erinnerung?

Reuther: Ach, so viele! Die Vesperkirche lebt ja von den Geschichten der Gäste und der Mitarbeitenden. Mir sind viele persönliche Geschichten der Besucher in Erinnerung, die mir dann auch sehr zu Herzen gehen. Gewaltig und schön finde ich auch, wie die Ehrenamtlichen mit Todesfällen unter den Mitarbeitenden umgegangen sind.

Das Projekt sechs Wochen lang mit Ihrem Team zu stemmen, kostet Kraft. Wo holen Sie sich die?

Reuther: Die anderen zwingen mich ab und zu zu einer kleinen Auszeit. Ja, es ist anstrengend. Aber lieber anstrengend und schön, als easy und langweilig.

Auf was freuen Sie sich immer am meisten?

Reuther: Zum Beispiel auf viele schöne Kooperationen — mit der Zeitung, mit dem Theater oder auch wenn Politiker kommen. Es gibt keine Lieblingsanteile, sondern nur geliebte Anteile.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Reuther: Dass wir Gutes bewahren, uns aber auch weiterentwickeln und hinterfragen, ob wir noch das Rechte zur rechten Zeit tun.

Info zur Vesperkirche: Bis 22. 2., tägl. von 11 bis 15.30 Uhr; Gustav-Adolf-Kirche, Allersberger Str.116; Tram 7, 8 Halt: Wodanstraße

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