Vom Realschulabschluss bis zum Doktortitel

Für seine Doktorarbeit: Nürnberger Student wechselt an die berühmte Uni Oxford

22.2.2021, 16:09 Uhr
Christian Bechteler steht vor dem Gebäude der Werkstoffwissenschaften auf dem Campus der Uni Oxford.

© Humberto J. Rocha, NNZ Christian Bechteler steht vor dem Gebäude der Werkstoffwissenschaften auf dem Campus der Uni Oxford.

Christian Bechteler hat es spannend gemacht. Corona, der Brexit – und dann bricht er sich kurz vor Weihnachten auch noch den Arm. „Es war bis zuletzt nicht klar, ob ich fliegen kann“, erzählt der 25-Jährige. Dabei will der Nürnberger Student doch nach Oxford, um hier in den kommenden drei Jahren seinen Doktor zu machen.


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Bechteler hat an der Technischen Hochschule Nürnberg studiert und ist anschließend an eine der ältesten und renommiertesten Universitäten der Welt gewechselt. „Wenn mir das vor einem Jahr jemand erzählt hätte, hätte ich es nicht geglaubt.“ Er ist der Erste in seiner Familie, der überhaupt studiert.

Nach dem Realschulabschluss macht Bechteler eine Ausbildung zum Werkzeugmechaniker. „Ich hatte keine Lust mehr auf Schule und Lernen“, erinnert er sich. „Außerdem waren auch meine Eltern für eine Ausbildung, damit ich erst einmal etwas in der Hand habe.“ Noch immer ist er froh darüber. „Ich würde es wieder genauso machen, von der Praxiserfahrung profitiere ich bis heute.“

Neugier als Antrieb

Doch er wollte mehr – vor allem mehr wissen. „Ich war neugierig und wollte den Dingen, die ich in der Ausbildung gelernt hatte, auf den Grund gehen“, erzählt er. Er fragt sich etwa, warum genau sich weicheres Metall wie Aluminium mit härterem Metall wie Eisen schneiden lässt. „Das konnte mir keiner auf die Schnelle beantworten, das war mein Antrieb.“

In Nürnberg findet Bechteler, der eigentlich aus dem Allgäu kommt, den passenden Studiengang: Werkstofftechnik. „Das ist die praktische Anwendung der Naturwissenschaften, wir setzen physikalische und chemische Phänomene in einem Werkstoff um“, erklärt er. Vor dem Studium hat er trotzdem Zweifel: „Ich wusste nicht, ob ich das schaffe, ich hatte keinen Ansprechpartner, der mir erzählen konnte wie studieren so ist.“

Er schafft es – sehr gut sogar. „Noch nie zuvor ist jemand von uns nach Oxford gegangen“, schwärmt sein Professor Hannes Kühl, Dekan an der Fakultät Werkstofftechnik in Nürnberg. „Er war ein sehr guter Student, immer nur Einser, drei Stipendien und mehrere Preise.“

Oft sei bei jungen Leuten, die vor dem Studium eine Ausbildung gemacht hätten, mehr Zug dahinter, findet Kühl. „Sie entscheiden sich bewusster dafür und wissen schon etwas mehr, wie das Leben läuft. Das zahlt sich am Ende aus.“

Eine internationale Wohngemeinschaft

Bechteler hat sein Werdegang bis nach Oxford gebracht. Er wohnt jetzt auf dem Campus, 90 Kilometer nordwestlich von London, in einer Wohngemeinschaft mit sechs jungen Leuten. Einer kommt aus Mexiko, zwei aus England, ein Italiener, eine Französin und eine Schwedin, die allerdings zur Zeit nicht einreisen darf.

„Viele sind gerade nicht vor Ort, die meisten Vorlesungen finden online statt.“ Zwei Mal wurde auch Bechtelers Flug verschoben und abgesagt. Ab 1. Januar hätte er wegen des Austritts Großbritanniens aus der EU ein Visum gebraucht.


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Am 28. Dezember geht dann doch ein Flieger. Am 21. Dezember ist sein Arm nach einem Radunfall noch operiert worden. „Meinen Koffer habe ich mir nachschicken lassen, weil ich ihn nicht tragen konnte“, erzählt er und grinst.

Dabei war es nie sein großes Ziel, unbedingt an die berühmte britische Uni zu kommen, die viele Fans weltweit auch als Drehort aus den Harry-Potter-Filme kennen. „Das hat sich mit etwas Glück und Zufall so ergeben“, sagt Bechteler.

Nach dem Bachelor schließt er in Nürnberg zunächst noch den Masterstudiengang „Applied Research in Engineering Sciences“ an, angewandte Forschung in den Ingenieurwissenschaften. Die Studenten arbeiten dafür drei Semester an einem Projekt mit, oft zusammen mit einem Unternehmen.

„Wir kommen dafür auf die Studenten zu, bei denen wir merken, dass sie engagiert sind und sowohl praktisch arbeiten können als auch wissenschaftlich interessiert sind“, erklärt Professor Kühl.

Über seine Masterarbeit veröffentlicht Bechteler einen Artikel in einer Fachzeitschrift. Der Chefredakteur, der den Text begutachtet, ist nun sein Doktorvater. „Er forscht genau an dem Thema, das ich weiter verfolgen will“, erzählt Bechteler.

Deshalb schreibt er dem Professor in Oxford einfach eine E-Mail und telefoniert wenig später prompt zwei Stunden mit ihm. „Das war gleich wie ein Bewerbungsgespräch, dabei dachte ich vorher, dass vielleicht gar keine Antwort kommt.“ Im Juni reicht der Student kurz vor Bewerbungsschluss seine Unterlagen für Oxford ein, einen Englischtest und drei Empfehlungsschreiben.

Warten auf die Freundin

Dabei hat sich Bechteler nach dem Abschluss eigentlich einen Job in der Industrie vorgestellt. „Da hätte ich sicher mehr Geld verdient als bei der Promotion“, sagt er. Die Studiengebühren von rund 11.000 Euro pro Jahr übernimmt Oxford für den Doktorand. Außerdem hat er sich wieder für ein Stipendium beworben. Auch sein WG-Zimmer auf dem Campus kostet knapp 700 Euro.

„Es gäbe auch Nebenjobs an der Uni, aber sie haben mir empfohlen, mich lieber auf meine Forschung zu konzentrieren.“ Auf andere Gedanken kommt er beim Rennradfahren, wenn er für den nächsten Triathlon trainiert.


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Ablenkung von Zuhause darf zur Zeit ohnehin nicht ohne weiteres einreisen. Weder seine Eltern, Bruder und Schwester, noch seine Freundin. „Das ist schwer, weil ich überhaupt nicht weiß, wann wir uns besuchen können.“

Aber er weiß, dass sie alle stolz auf ihn sind. „Ich hab die coolste Familie der Welt“, sagt Bechteler. „Und es wäre schön, wenn andere sich durch meine Geschichte auch trauen, als Erste in ihrer Familie zu studieren.“

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