Fürth: Pflege-Gutachten mit kuriosen Mängeln

12.3.2021, 14:23 Uhr
So war es bisher: Eine MDK-Gutachterin spricht zugewandt mit einer Senioren. Derzeit werden stattdessen "strukturierte Telefoninterviews" geführt. 

© Britta Pedersen, NNZ So war es bisher: Eine MDK-Gutachterin spricht zugewandt mit einer Senioren. Derzeit werden stattdessen "strukturierte Telefoninterviews" geführt. 

Die Gutachten - mittlerweile sind es drei innerhalb eines halben Jahres - des MDK lesen sich allesamt ein bisschen so, als hätte jemand vorhandene Textabsätze in einen Becher gesteckt, kräftig geschüttelt und sie das aufs Papier gekippt. Dabei geht es für den bald 90-jährigen Manfred Buschheuer (Namen der Betroffenen geändert) um die wichtige Frage, wie hoch seine Pflegebedürftigkeit ist und welche Summe er von der Pflegekasse bekommt.

Wegen Corona fragt der MDK derzeit in Form von „strukturierten Telefoninterviews“ nach statt bei Hausbesuchen. Er bekommt die Patienten also gar nicht zu Gesicht. Ob da der Fehler liegt?

Ein "großer Unsinn"

Kurt Eisele aus Fürth, selbst schon über 80 Jahre alt und Betreuer Buschheuers, spricht von „großem Unsinn“, der da in den MDK-Gutachten stehe. „Missachten“ seien das geradezu, weil vieles übersehen worden sei. Und zu dieser Einschätzung ist inzwischen sogar die zahlende Pflegekasse gelangt, zumindest indirekt. Eisele, einst Handelsvertreter von Möbelfirmen, hat die für ihn offensichtlichen Mängel und „falschen Behauptungen“ in den Gutachten säuberlich aufgelistet.

So taucht in den Gutachten etwa mit keinem Wort auf, dass sich der 89-Jährige bei zwei Stürzen kurz hintereinander sowohl den linken als auch den rechten Oberschenkelhals gebrochen hat. Von zwei Stürzen ist in den Dokumenten zwar die Rede, beide Frakturen hätten aber links „operativ“ versorgt werden müssen, steht da in allen drei Gutachten, als habe man das einfach vom ersten abgeschrieben, das in dieser Hinsicht schon unrichtig war.

Auch von „regelmäßigem Besuch durch die Angehörigen“, wie der MDK in seinem Fernbefund festgehalten hat, könne, so Eisele, keine Rede sein. Er weiß das, denn er steht in ständigem Austausch mit seinem Schützling. Und im jüngsten Gutachten vom Januar blieb auf Seite 3 zudem ein eklatanter Widerspruch unentdeckt.

Schwindel und psychische Episoden

„In der Nacht nutze der Antragsteller eigenständig die bereitgestellte Urinflasche“, steht da. Genau 22 Zeilen danach steht das Gegenteil: „Bei den Toilettengängen und bei der Nutzung der Urinflasche benötige er Hilfe.“

Auf ärztlich attestierten Schwindel, Taumel, Depressionen, ständig wiederkehrende psychische Episoden und daraus resultierende körperliche und psychische Defizite bei seinem Schützling gehe der MDK nicht ein, hat Kurt Eisele festgestellt.


Einsamer Corona-Tod


Die Beziehung zwischen den beiden Männern ist auch Beispiel einer rührenden Freundschaft. Sie kennen sich seit 67 Jahren. Buschheuer hat zwei Ex-Frauen und Kinder, aber der 82-jährige Eisele kümmert sich jetzt intensiv um ihn. Auf- oder vordrängen wollte sich Eisele nicht: „Ich wäre froh, wenn die Angehörigen sich mehr einmischen würden. Das wäre eine Entlastung für mich.“

Ein durchschlagender Erfolg

Die jahrzehntelange Verbindung ist sicher ein Grund dafür, warum Eisele gegenüber dem MDK nicht locker gelassen hat. Über den großen Sozialverband VdK, bei dem sein Freund schon viele Jahre Mitglied ist, hat Eisele gegen alle Gutachten, die den 90-jährigen in Pflegegrad 2 einstuften, Widerspruch einlegen lassen. Zumindest bei der Pflegekasse der DAK, bei der Buschheuer versichert ist, hatte das durchschlagenden Erfolg.

Sie teilte dem VdK in einem knappen Schreiben mit, dass die „Voraussetzungen des Pflegegrades 3“ im Falle Manfred Buschheuers vorlägen. „Ihrem Widerspruch wird somit aus hiesiger Sicht vollumfänglich abgeholfen.“


Zurück zur Klassengesellschaft?


Das ist ein höchst ungewöhnlicher Vorgang. Denn die Pflegekasse sei nach Auskunft der DAK, „verpflichtet“ dem Ergebnis einer Begutachtung durch den MDK zu folgen. Abweichen könne man da nur in absoluten Ausnahmefällen. Ein solche lag hier offenbar vor. Es geht dabei auch um beträchtliche Summen.

Buschheuer, der in einem Heim im Landkreis Fürth lebt, bekommt von der Pflegekasse jetzt fast 1300 Euro monatlich, bei Pflegegrad 2 wären es lediglich 770 Euro gewesen. Das Geld geht natürlich ans Seniorenheim, für das der 89-jährige zusätzlich rund 2100 Euro selbst bezahlen muss. Etwa 1650 Euro bekommt er Rente. Da klafft also noch eine stattliche Lücke.

Privat abgesichert

Nun gehört Buschheuer zum Vertreter einer Generation, die es von je her abgelehnt hat, staatliche Sozial-Mittel in Anspruch zu nehmen. Er hat deshalb frühzeitig vorgesorgt, und schon vor Jahrzehnten eine private Pflegeversicherung abgeschlossen und dafür Beiträge entrichtet. Die greift aber erst, wenn ihn nicht nur die Pflegekasse in den Pflegegrad 3 einstuft, sondern auch der MDK. Das tut er aber nun mal nicht.

Der Dienst teilt dazu auf Nachfrage mit: „Nachdem der MDK keine Information über die Leistungsentscheidung der Pflegekasse hat“, werde er auch nicht „nachlaufend“ aktiv. Der 89-jährige Manfred Buschheuer muss also vorerst sozusagen weiter hinter seinem Geld herlaufen. Um sich in seinem Heim fortzubewegen ist er auf einen Rollstuhl angewiesen.