Gerichtsprozess

Geiselnahme und Todesdrohung: Neumarkter wollte Nachbarn im Wald umbringen

4.8.2021, 14:40 Uhr
Geiselnahme und Todesdrohung: Neumarkter wollte Nachbarn im Wald umbringen

© Sarah de Sanctis, NNZ

Vor dem handfesten Nachbarschaftsstreit steht eine Freundschaft: Vor etwa fünf Jahren lernten sich Hamid K. und Mohammed H. (Namen geändert) in einem Asylbewerberheim kennen, beide waren mit ihren Familien vor dem Krieg aus Syrien geflohen.

Später begann Hamid K. in der Oberpfalz mit Autos zu handeln, Mohammed H. half ihm. In Neumarkt lebten die gleichaltrigen Männer als Nachbarn. Heute treffen sie sich mit ihren Rechtsanwälten Philipp Schulz-Merkel und Markus Meier vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth - Hintergrund ist ein brutaler Angriff des 41-jährigen Mohammed H., die Staatsanwaltschaft wirft ihm Geiselnahme und gefährliche Körperverletzung vor.

Geiselnahme und gefährliche Körperverletzung

Laut Anklage eskalierte am 5. Januar 2021 gegen 19:20 Uhr ein Streit: Mohammed H. rannte, in der rechten Hand ein Messer, auf seinen Nachbarn Hamid K. zu. Er raste vor Zorn, packte den Mann von hinten, drückte ihm das Messer an die linke Seite der Kehle und zerrte ihn in seinen silbernen Opel.

Er drohte, er würde ihn nun in den Wald bringen und ihn dort umbringen. Mohammed H. fuhr mit ihm bis Berngau, parkte bei der Grünablagestelle, zog seinen Kontrahenten aus dem Auto und schlug ihm mit einem fünf Zentimeter dicken Kantholz ins Gesicht. Der Grund seiner Wut: Der Nachbar hatte gegen H.s Sohn bei der Polizei Anzeige erstattet, und H. verlangte, dass diese Anzeige zurückgezogen würde.

Hamid K. spricht von Todesangst, vor allem sorgte er sich, dass sich der tobende Mohammed H. zusätzlich an seinem zwölfjährigen Sohn vergreifen würde. Immer wieder seien sich er und der Nachbar in die Haare geraten, sie stritten um ihre Kinder oder weil Hamid K. die Frau von Mohammed H. angeblich belästigt hatte. Doch diesmal habe er sich wirklich einschüchtern lassen, sagt K., schließlich habe H. damit gedroht, K.s Sohn "mit dem Auto anzufahren" oder "abzuschlachten".

Angeklagter sieht sich als Opfer

Mohammed H. sitzt als Angeklagter nur wenige Meter von dem Nebenkläger Hamid K. entfernt, doch die Aussagen der beiden Männer trennen Welten. Mohammed H. sieht sich selbst als Opfer. Wegen der ständigen Streitereien mit dem Nachbarn habe er sich selbst an die Polizei gewandt, doch geholfen wurde ihm nicht.

Beschuldigter: Der Geschädigte verletzte sich selbst

Auch die Attacke bestreitet er. Er habe Hamid K. weder bedroht noch geschlagen, er habe ihn überhaupt nicht angefasst. Wieso sich dennoch eine Beule - groß wie ein Hühnerei - auf der Stirn seines Nachbarn zeigte (ein Foto der beträchtlichen Schwellung ist in der Sitzung zu sehen) kann er auch erklären: Hamid K. wolle ihn unbedingt ins Gefängnis bringen. Und dabei sei er so weit gegangen, dass er sich selbst auf die Stirn geschlagen habe, nur um diese Verletzung Mohammed H. in die Schuhe zu schieben. "Ich bin der wahre Geschädigte, dieser Mann will mein Leben zerstören." Er selbst sei im Januar zu Unrecht in U-Haft gelandet, nun sitze er als Unschuldiger vor Gericht.

Aussage gegen Aussage

Es mangelt an objektiven Spuren: Am Tatort in Berngau, der Grüngutsammelstelle, ist zwar eine Überwachungskamera angebracht, doch das Gerät war nicht in Betrieb. Die Ermittler suchten in Berngau nach dem Messer, jedoch vergeblich. Das Kantholz wurde entdeckt.

Doch es gibt einen Zeugen: Ein Stadtgärtner schilderte bei der Polizei, dass er an jenem Abend Grünabfälle entsorgte als er von dem Geschädigten um Hilfe gebeten wurde. Der Gärtner fuhr den Mann nach Neumarkt zurück und wählte den Notruf.

Gerade als der Alarm einging, betrat Mohammed H. die Polizeiinspektion, um seinerseits Anzeige zu erstatten. Er verwies auf eine rote Schürfwunde auf seinem Bauch, gab sich empört und kündigte erregt an, den Kontrahenten beim nächsten Vorfall umzubringen. Heute will Mohammed H. dies als Ausdruck seiner Verzweiflung verstanden wissen, weil er von der Polizei keine Hilfe bekam.

Schürfwunde am Bauch

Damals entschied man sich auf der Dienststelle, eine Polizeistreife nach Berngau zu schicken - die Schürfwunde am Bauch des Mohammed H. habe schon älter gewirkt, erinnert sich ein Polizist im Zeugenstand. Dass die beiden Männer schon länger im Streit lagen, war bekannt, schildert der Beamte. Immer wieder sei es zu Gewalttätigkeiten gekommen, schon früher stand der Verdacht im Raum, dass sich die Männer selbst verletzten, um den jeweils anderen zu belasten. Dass sich die Männer wechselseitig beschuldigen sei für die Polizei nicht ungewöhnlich - dies sei eine häufig gewählte Strategie, um von der eigenen Schuld abzulenken.

Der Prozess wird vor der 2. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth am 9. August fortgesetzt.