Gerichtsurteil: Landratsämter müssen detaillierte Corona-Zahlen herausgeben

22.8.2020, 17:43 Uhr
Einige Landkreise wollten bisher keine genauen Daten zum Infektionsgeschehen in einzelnen Gemeinden angeben, weil sie eine Stigmatisierung der Infizierten fürchteten.

© Ma Ping/XinHua/dpa Einige Landkreise wollten bisher keine genauen Daten zum Infektionsgeschehen in einzelnen Gemeinden angeben, weil sie eine Stigmatisierung der Infizierten fürchteten.

Seit Anfang März, als sich die Corona-Pandemie flächendeckend in Bayern ausbreitete, treibt diese Frage viele Menschen um:Wie viele Infizierte gibt es in meiner Heimatgemeinde? Lange Zeit allerdings haben zahlreiche Landratsämter im Freistaat ihren Bürgern die Antwort darauf verweigert. Spätestens jetzt, nach einem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH), ist damit aber Schluss.

Die höchste Instanz der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Bayern bestätigte damit eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Ansbach, das Anfang August eine einstweilige Anordnung erwirkt hatte. Das Landratsamt Neustadt/Aisch-Bad Windsheim wurde dadurch verpflichtet, die Zahlen zu Corona-Fällen in einzelnen Gemeinden herauszugeben. Die von Landrat Helmut Weiß (CSU) geleitete Behörde legte zwar Beschwerde beim BayVGH ein, doch die Münchner Richter wiesen die Beschwerde nun zurück.

Helmut Weiß (CSU), Landrat des Kreises Neustadt/Aisch-Bad Windsheim.

Helmut Weiß (CSU), Landrat des Kreises Neustadt/Aisch-Bad Windsheim. © Andreas Riedel, NN

Damit bleibt den Landratsämtern in Bayern rechtlich keine Möglichkeit mehr: Auf Verlangen müssen sie künftig die nach den einzelnen Gemeinden aufgeschlüsselten Infektionszahlen herausgeben.

Geklagt hatte ein freier Journalist aus Unterfranken, der diese Zahlen aus dem Landkreis Neustadt/Aisch-Bad Windsheim vergeblich angefordert hatte. Landrat Weiß hatte die Herausgabedieser Zahlen unter anderem mit dem Argument verweigert, er wollte die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Menschen schützen. Denn die hätten durch die Covid-19-Erkrankung bereits "ihr Päckchen zu tragen".

Stigmatisierung befürchtet

Der Kreis Neustadt/Aisch-Bad Windsheim sei so kleinteilig und dörflich strukturiert, dass die Bekanntgabe von Zahlen aus einzelnen Kommunen Rückschlüsse auf einzelne Erkrankte zuließe, begründete der Kommunalpolitiker gegenüber der Fränkischen Landeszeitung seine Haltung. Dies komme der "Stigmatisierung" Betroffener gleich.

Ähnlich argumentierten die Vertreter vieler anderer Landratsämter, zum Beispiel Herbert Eckstein (SPD), Landrat des Landkreises Roth. Auch er wollte angesichts einiger relativ kleiner kreisangehöriger Gemeinden verhindern, dass man bei der Nennung der Orte möglicherweise auf die infizierten Personen schließen kann. Monatelang hatte das Rother Landratsamt deshalb jegliche Auskunft verweigert, wie sich die bislang nachgewiesenen Corona-Fälle auf die 16 Landkreisgemeinden verteilen.


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In Oberfranken und in der Oberpfalz hatten sich sogar sämtliche Landräte intern auf diese Praxis verständigt. Unter anderem gab die Kreisbehörde des Landkreises Tirschenreuth, der viele Wochen lang der Corona-Hotspot schlechthin in Deutschland war, keine detaillierten Zahlen heraus. Bei den ersten Infektionsfällen seien manche Corona-Opfer wie Aussätzige behandelt worden – so die Argumentation der Verantwortlichen. Das Verwaltungsgericht Regensburg hatte das zuständige Landratsamt dann aber per Beschluss zur Veröffentlichung der Zahlen verpflichtet, nachdem ein bayerischer Regionalzeitungsverlag juristisch gegen die Informationsverweigerung vorgegangen war.

Im Kreis Nürnberger Land wiederum hatte Landrat Armin Kroder (Freie Wähler) schon vor einigen Wochen eingelenkt und war zur Praxis zu Beginn der Corona-Pandemie zurückgekehrt. Bis Anfang Juli hatte das Landratsamt in Lauf an der Pegnitz nämlich per regelmäßiger Pressemitteilung die bestätigten Infektionen in den einzelnen Städten und Gemeinden kommuniziert. Aufgelistet waren darin Orte im Nürnberger Land mit fünf und mehr Fällen.

Dann aber blieben diese Informationen mit Hinweis auf die bereits erwähnten Persönlichkeitsrechte einige Wochen lang aus, bis es ein klärendes Gespräch Kroders mit der Redaktion der Pegnitz-Zeitung gab.Nun werden die detaillierten Zahlen wieder kommuniziert.

Auch im Kreis Neustadt/Aisch-Bad Windsheim erhalten die örtlichen Medien nun die nach den insgesamt 38 Landkreisgemeinden aufgeschlüsselten Daten. Landrat Helmut Weiß beugt sich der Entscheidung des BayVGH, auch wenn er die Auffassung des Gerichts nicht teilt.

Presse hat Recht auf Auskunft

Die Münchner Richter stützten jedoch den Rechtsgrundsatz des Bayerischen Pressegesetzes, dass die Presse bei Behörden ein Recht auf Auskunft habe, sofern nicht die Grundrechte Dritter verletzt würden. Dies sei bei der Weitergabe von gemeindespezifischen Corona-Zahlen jedoch nicht der Fall.

Helmut Weiß allerdings sieht nach wie vor in diesem speziellen Fall die Grenzen der Pressefreiheit erreicht. Mit dem Ausgang des Gerichtsverfahrens sehe er deshalb das alte Sprichwort "Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand" bestätigt, sagte er im Gespräch mit der FLZ.