Gesellschaft zeigt Bayerns Landwirten den Stinkefinger

15.8.2019, 05:35 Uhr
Gesellschaft zeigt Bayerns Landwirten den Stinkefinger

© Foto: Philipp Schulze/dpa

Wenn Siegfried Lebeck auf dem Traktor, vielleicht sogar noch mit seinem Güllefass im Schlepp, zu seinen Feldern fährt, zeigen ihm immer wieder mal wildfremde Auto- und Radfahrer den Stinkefinger. Der fränkische Landwirt wurde nach eigener Aussage auch schon als "Giftspritzer" und "Tierquäler" beschimpft, auf seinem Facebook-Profil landen hin und wieder Hasskommentare.

"Ich habe das Gefühl, dass die Atmosphäre in den vergangenen zwei Jahren noch mal deutlich aggressiver geworden ist", sagt Lebeck, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will. "Nicht, dass mich jeder googeln kann und dann vielleicht auf meinem Hof auftaucht." Nachdem vor einigen Wochen ein Fall von Tierquälerei in einem Milchviehbetrieb im Allgäu bekanntgeworden war, seien bei einer ganzen Reihe von Nutztierhaltern im Freistaat militante Tierschützer in Kuhställe eingedrungen, um dort vermeintliche Straftaten zu filmen und zu fotografieren.

Beate Schmidt ist ebenfalls wiederholt auf offener Straße angefeindet worden. "Es sind auch schon mehrere anonyme Anzeigen gegen uns wegen irgendwelcher vermeintlicher Gesetzesverstöße bei der Polizei eingegangen", erzählt die Landwirtin, die zusammen mit ihrem Mann im Nürnberger Land einen Hof mit 100 Milchkühen betreibt. Auch wenn dann die Ermittlungen zeigen, dass die Vorwürfe haltlos halten, belastet das die Schmidts natürlich trotzdem. Und es wirft ein Schlaglicht auf die fortschreitende Entfremdung zwischen der Landwirtschaft und der restlichen Gesellschaft.

Viele Bauern in der Region sind sich einig, dass die Diskussion um einen besseren Artenschutz in Bayern und die am 1. August in Kraft getretenen Gesetzesänderungen diesen Prozess zusätzlich befeuert haben. Vor allem aber ärgern sie sich darüber, dass das von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) forcierte "Versöhnungsgesetz" zum allergrößten Teil die bayerische Landwirtschaft in die Pflicht nimmt und damit nach Ansicht vieler Betroffener deren Wettbewerbsfähigkeit gefährdet. Der Rest der Bevölkerung hingegen müsse keine Einschränkungen beziehungsweise verbindliche Handlungsanweisungen in Kauf nehmen.

"Die Arbeit sollen dann andere machen"

"Beim Volksbegehren haben viele ihr ökologisches Gewissen mit einem Kreuzchen befriedigt, die Arbeit sollen dann aber andere machen", kritisiert Peter Höfler, der im Nürnberger Knoblauchsland einen großen Gemüsebaubetrieb führt und dabei durchaus auch auf ökologische Gesichtspunkte Wert legt. So hat er vor einigen Jahren ein Pilotprojekt mit verschiedenen Wildblumenwiesen und -säumen rund um seine Gewächshäuser auf den Weg gebracht. Doch auch Höfler fürchtet, dass die praktische Umsetzung mancher neuen Vorschrift zusätzliche bürokratische Monster gebärt und die Konkurrenzfähigkeit der Bauern zusätzlich schwächt.

Etwa die Vorschrift, dass auf Gewässerrandstreifen keine acker- und gartenbauliche Nutzung mehr erlaubt ist. Man müsse abwarten, wie die Kreisverwaltungsbehörden diese Änderung im Bayerischen Wassergesetz im Detail umsetzen, "aber einfacher wird unsere Arbeit nicht", sagt Höfler, der für den Bayerischen Bauernverband (BBV) als Obmann des Kreisverbandes Nürnberg-Stadt fungiert.

Für Beate Schmidt zum Beispiel ist das ein erhebliches Problem. Die etwa 200 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche, die zu ihrem Hof gehören sind auf über 300 Teilstücke verteilt. "Wenn wir auf kleineren Stücken mehrere Meter Abstand zum Wasser lassen müssen, sind die schlicht nicht mehr zu bewirtschaften", erklärt sie. Das sei quasi eine Zwangsstilllegung und damit eine Enteignung. "Wir Bauern müssen solche Eingriffe in unser Eigentum hinnehmen, Privatleute nicht", kritisiert die fränkische Landwirtin.

Als Wählergruppe nicht mehr relevant

Die Wählerstimmen der Bauern seien eben nicht mehr so relevant wie früher, glaubt Stefan Föttinger, der in Wettelsheim im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen einen Hof mit rund 200 Milchkühen, Bullen und Kälbern betreibt. "Wir sind nur noch drei Prozent der Bevölkerung und damit für keine Partei mehr so richtig interessant", sagt Föttinger, der trotz alledem seinen Beitrag zu einer nachhaltigen Agrarwirtschaft leisten will und deshalb unter anderem eine Bienenweide angelegt hat. Doch auch er will die Gesamtgesellschaft nicht aus der Verantwortung lassen und fragt sich, was das im neuen Naturschutzgesetz festgeschriebene Ziel von 30 Prozent Biolandbau bis 2030 nützen soll, wenn die allermeisten Verbraucher dann doch zu konventionell produzierten Lebensmitteln greifen.

"Die Moral endet am Regal", sagt Mittelfrankens BBV-Bezirkspräsident Günther Felßner, den auch der Freizeitdruck ärgert, den die moderne Gesellschaft auf die Natur ausübt. Etwa durch die mittlerweile 1,4 Millionen Hunde in Bayern, von denen der Großteil zweimal pro Tag Gassi geführt und dann oft von der Leine gelassen wird, die Wildtiere verschreckt und auf landwirtschaftlichen Nutzflächen verbotenerweise seine Notdurft verrichtet.

"Dass auch diese Hunde und all die Jogger, Radfahrer und sonstigen Freizeitsportler die Artenvielfalt gefährden, das ist kaum mal ein Thema", kritisiert Felßner. Ebenso stößt er sich am übermäßigen Flächenverbrauch im Freistaat. Doch auch hier würden Politik und Gesellschaft anderen Wasser predigen und selber Wein trinken.

 

 

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